Der Heilige Krieg
Erfahrung das Verhältnis von Christen und Muslimen bis heute. Ob bei Hilfsmissionen in Afghanistan, bei Militäreinsätzen in der arabischen Welt, bei Maßnahmen zur Unterstützung Israels und selbst bei wohlmeinender Integrationspolitik – immer wieder malen selbst ernannte Heilsbringer, vor allem aus den Reihen radikaler Islamisten, das Gespenst der Kreuzzüge oder Kolonisierung an die Wand. Der Westen täte gut daran, alles zu vermeiden, was solche Ängste schüren könnte. Und was von christlicher Seite beizutragen ist, dafür hat Papst Johannes Paul II. in seiner viel beachteten Vergebungsbitte »Mea Culpa« am 12. März 2000 ein Beispiel gegeben und vor aller Welt bekannt: »… oft haben die Christen das Evangelium verleugnet und der Logik der Gewalt nachgegeben. Die Rechte von Stämmen und Völkern haben sie verletzt, deren Kulturen und religiöse Traditionen verachtet: Erweise uns deine Geduld und dein Erbarmen! Vergib uns!« Es ist das Gebet eines Papstes, der sich wie kaum ein Pontifex vor ihm um Aussöhnung bemüht hat; er richtete seine Bitte an den gemeinsamen Gott der Christen, Juden und Muslime.
Die Türken vor Wien
Der Traum des Osman Bey
Am Anfang steht ein Traum. Der junge Osman träumt ihn, als er die Nacht im Haus eines befreundeten Scheichs, des Oberhaupts eines muslimischen Ordens, verbringt: Ein Mond versinkt in Osmans Brust. Dann wächst ein Baum aus seinem Nabel. Seine Äste breiten sich über alle Länder und Meere aus, über alle Berge und Flüsse. Als Osman am nächsten Morgen seinem Gastgeber von dem seltsamen Traum erzählt, antwortet der Scheich nach kurzem Schweigen: »Heil dir, mein Sohn Osman! Allah der Erhabene hat dir und deinem Geschlecht Herrschertum zugedacht! Gesegnet sei es euch!«
So berichtete es eine osmanische Legende aus dem 15. Jahrhundert. Osmans Traum wurde hier zum Gründungsmythos für ein Reich, das zu einem der größten Imperien der neueren Geschichte aufsteigen sollte.
Ihre Kriege führten die Osmanen nicht nur mit dem Anspruch auf Weltherrschaft, sondern auch »im Namen Gottes«. Jeder neue militärische Erfolg war auch ein Sieg des Islam. Es schien nur eine Frage der Zeit, bis der islamische Glaube sich auf der ganzen Welt durchsetzen würde.
Auf dem Höhepunkt seiner Macht erstreckte sich das Osmanische Reich über drei Kontinente: von Nordafrika bis nach Persien, von Ungarn bis zum Roten Meer – eine Erfolgsgeschichte, die zu Zeiten von Osmans Traum mehr als unwahrscheinlich klingen musste.
»Im 16. Jahrhundert hätte ein Besucher vom Mars sehr leicht zu dem Schluss kommen können, dass die Menschenwelt kurz davorstand, islamisch zu werden.«
Marshall Hodgson, Islamwissenschaftler
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Dynastiegründer Osman I., europäische Darstellung des 18. Jahrhunderts.
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Rossschweife, Zeichen der Würdenträger im Osmanischen Reich.
Denn noch im 13. Jahrhundert stellten die Osmanen nur eine unbedeutende Gruppe unter den türkischen Reiternomaden dar, die seit dem 11. Jahrhundert aus Mittel- und Zentralasien nach Anatolien zugewandert waren. Die türkischen Stämme eroberten nach und nach das Gebiet, wurden sesshaft und gründeten »Beyliks« (Fürstentümer). Sie gingen Bündnisse untereinander ein, führten auf dem anatolischen Flickenteppich aber auch häufig Krieg gegeneinander. Von dem kleinen Beylik der Osmanen und ihrem Fürst Osman Bey war in dem Gewirr von Krieg und Diplomatie für lange Zeit keine Rede. Doch das sollte sich ändern.
Das osmanische Beylik besaß gegenüber seinen Konkurrenten einen großen strategischen Vorteil: Es lag in direkter Nachbarschaft zum reichen
Byzanz. Das einst glanzvolle Imperium war im 14. Jahrhundert nur noch ein Koloss auf tönernen Füßen. Von der Eroberung und Plünderung durch ein Kreuzritterheer im Jahr 1204 hatte sich die Hauptstadt Konstantinopel nie mehr ganz erholt. Zerrissen von Thronkämpfen und Bürgerkriegen, büßte Byzanz sein ehemaliges Gebiet rings um das östliche Mittelmeer ein. Nur mit dem Verlust des anatolischen Vorlands zur Hauptstadt Konstantinopel konnten und wollten sich die byzantinischen Kaiser nicht so einfach abfinden. Wechselnde Allianzen mit den türkischen »Barbaren« sollten den letzten Besitz in Kleinasien retten.
Um die Wende zum 14. Jahrhundert, vielleicht 1299, erklärte Osman seine Unabhängigkeit als Herrscher. Auf eigene Faust unternahm er von nun an Raubzüge in das byzantinische Gebiet, plünderte Dörfer und erpresste Städte. Immer mehr Krieger,
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