Der Heilige Krieg
zukünftiger Organisator des Heiligen Krieges. Oppenheim erhielt Geld, Personal und Räumlichkeiten zum Aufbau einer »Nachrichtenstelle für den Orient«, ein Büro zur Entfesselung des Dschihad – mitten in Berlin.
Sturm über dem Bosporus
Doch die Deutschen hatten die Rechnung erst einmal ohne den Wirt gemacht. Denn alle Dschihad-Visionen fußten auf der Voraussetzung eines Kriegseintritts der Türkei aufseiten der Mittelmächte Deutschland und Österreich. Und der war im August 1914 noch keineswegs absehbar.
Seit den Tagen des Kaiserbesuchs hatten sich die politischen Verhältnisse im Osmanischen Reich grundlegend geändert. Die sogenannten »Jungtürken«, eine Bewegung, die für eine demokratische Reformierung des altertümlichen Staatswesens eintrat, hatten bereits 1909 Sultan Abdülhamid II. zur Abdankung gezwungen und durch seinen Bruder Mehmed V. ersetzt. Nach vielen innenpolitischen Wirren, nicht zuletzt aber wegen der verheerenden Balkankriege 1912/13, die große Gebietsverluste und eine Massenflucht Hunderttausender Türken Richtung Konstantinopel zur Folge hatten, putschten sich schließlich drei Generäle an die Macht und regierten mit diktatorischen Vollmachten. Kopf des Triumvirats war der erst 32-jährige Enver Pascha. Der ehemalige osmanische Militärattaché an der Botschaft in Berlin galt als Freund der Deutschen.
»Türkei muss losschlagen, S. M. der Sultan muss die Muselmanen in Asien, Indien, Ägypten, Afrika zum heiligen Kampf fürs Kalifat aufrufen.«
Wilhelm II. an Enver Pascha, August 1914
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Verbündete im Heiligen Krieg: Wilhelm II. im Gespräch mit Enver Pascha an Bord eines Kriegsschiffs im Oktober 1917.
Zwar unterzeichnete die türkische Regierung bereits am 2. August 1914 ein Geheimabkommen, das den Kriegseintritt des Osmanischen Reiches für den Fall vorsah, dass Russland gegen die Mittelmächte mobil machte – was dann ja tatsächlich geschehen war. Trotzdem schreckte man in Konstantinopel vor dem Kriegseintritt zurück und hielt die Deutschen hin. Es sollten noch einige Monate vergehen, bis ein gelungener Coup, bei dem zwei Kriegsschiffe der kaiserlichen Marine eine entscheidende Rolle spielten, die Türken endgültig ins Lager der Mittelmächte hineinmanövrierte. Am 12. November schließlich reagierte das Osmanische Reich auf die Kriegserklärungen Russlands, Frankreichs und Englands auch seinerseits mit Kriegserklärungen an die Entente. Bereits einen Tag zuvor hatte Sultan Mehmed V., wie mit den Deutschen vereinbart, den Dschihad gegen die Mächte der Entente verkündet. Der Aufruf gipfelte in einer Beschwörung der weltweiten muslimischen Solidarität:
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Muslimische Kriegsgefangene, die später in ihren Heimatländern als Agenten eingesetzt werden sollten, im »Halbmondlager« Wünsdorf beim gemeinsamen Gebet.
»Stürzt Euch auf den Feind wie die Löwen, denn die Existenz und das Leben unseres Reiches sowie die Existenz von 300 Millionen Muslimen, die wir zum Größten Dschihad durch die erhabenen Rechtsgutachten aufgerufen haben, ist verknüpft mit Eurem Sieg: Die Gebete aus den Herzen von 300 Millionen unterdrückten Muslimen … sind alle mit Euch, wo immer Ihr seid.«
Der Heilige Krieg, Dschihad, zur Durchsetzung der türkisch-deutschen Kriegsziele schien Gestalt anzunehmen. Dieser Aufruf zum bewaffneten Kampf war freilich ein Novum in der Geschichte. Denn der Definition nach war ein Dschihad ja ein Krieg gegen Ungläubige ohne Einschränkung, ein Krieg mit dem Ziel, den Islam zu verbreiten. Nun aber sollte plötzlich ein Unterschied zwischen den Ungläubigen gemacht werden – zwischen Deutschen und Briten, Österreichern und Russen, Freunden und Feinden. Deshalb ließ die türkische Regierung ein islamisches Rechtsgutachten anfertigen, das klarstellte, dass es künftig einem Muslim erlaubt sei, an der Seite der Deutschen zu kämpfen. An die muslimischen Soldaten in den Reihen der Entente wurde eine deutliche Drohung
gerichtet. Selbst wenn sie oder ihre Angehörigen mit dem Leben dafür bezahlten, hätten sie den Dienst zu verweigern, sonst warte das Höllenfeuer auf sie. Die Grundvoraussetzung für einen weltweiten Dschihad der Muslime war erfüllt. Der Kalif hatte ihn verkündet, ein Rechtsgutachten ihn als gottgefällig bestätigt. Nun musste Oppenheims »Nachrichtenstelle für den Orient« dafür sorgen, dass diese Botschaft bei den Muslimen auch ankam.
In Regionen ohne moderne Kommunikationsmittel war das nur durch Agenten und
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