Der Heilige Krieg
Propagandamaterial zu leisten. Fieberhaft verfasste Oppenheims Stab, dem bald über 60 Personen angehörten, Broschüren und übersetzte Kriegsberichte, um damit die islamische Welt zu infiltrieren. Besonderes Augenmerk galt den zehntausenden muslimischen Soldaten in den Reihen der Entente. Sie sollten mit Flugblättern zur Desertion aufgerufen werden.
Schon bald gerieten Muslime auch in deutsche Kriegsgefangenschaft. Oppenheim ließ sie in einem eigens dafür eingerichteten Lager in Wünsdorf bei Berlin zusammenziehen. Die Gefangenen erhielten eine eigene Moschee – ein schmuckes Gebäude im osmanischen Stil – und wurden von türkischen Geistlichen indoktriniert, um später als Agenten und Saboteure in ihre jeweiligen Heimatländer geschickt zu werden. Für die Gefangenen produzierte Oppenheims Amt eine eigene Zeitung namens Dschihad .
Aber nur mit Flugblättern und Broschüren war kein Krieg zu führen, darüber war man sich auch in Berlin im Klaren. Man brauchte Agitatoren vor Ort.
Ein Land stand ganz oben auf der Agenda der deutschen Dschihad-Strategen: Indien. Denn die Kronkolonie war das Rückgrat des britischen Empire. Gelänge es, den Subkontinent zu destabilisieren, so hätte das unabsehbare Folgen für die britische Wirtschaft und Kriegführung.
»Von höchster Wichtigkeit ist… die Insurrektion von Indien und Ägypten, auch im Kaukasus. – Durch den Vertrag mit der Türkei wird das Auswärtige Amt in der Lage sein, diesen Gedanken zu verwirklichen und den Fanatismus des Islams zu erregen.«
Helmuth von Moltke,
Generalstabschef,
November 1914
Deshalb setzte die deutsche Heeresleitung bereits im September 1914 eine Expedition in Marsch. Ihr Ziel: Kabul. Der dortige Herrscher Habibullah, der Emir von Afghanistan, sollte dazu bewegt werden, aufseiten der Türken und Deutschen in den Krieg einzutreten und Indien anzugreifen.
Die unter dem Namen Niedermayer-Hentig-Expedition berühmt gewordene Unternehmung stand allerdings unter keinem guten Stern. Pannen, Missgeschicke und Kompetenzstreitigkeiten unter den Teilnehmern führten das ehrgeizige Vorhaben mehrfach an den Rand des Scheiterns. Neben den deutschen Offizieren Oskar Niedermayer und Werner Otto von Hentig gehörten auch der indische Prinz Raja Mahendra Pratap und der türkische Offizier Kazim Bey zum Expeditionsteam. Trotz aller Widrigkeiten gelang es der exotischen Reisegesellschaft, sich auf abenteuerlichen Wegen durch das von Russen und Briten kontrollierte Persien bis nach Afghanistan durchzuschlagen.
Im September 1915 traf die Expedition in Kabul ein. Zwar wurden die Ausländer mit militärischem Pomp empfangen, doch zu größerem Engagement in deutsch-türkischen Angelegenheiten war Habibullah vorläufig nicht zu bewegen – im Gegenteil: Die Deutschen mussten bald feststellen, dass sie sich nicht frei bewegen durften. Erst als sie in den Hungerstreik traten, ließ der afghanische Herrscher bitten.
Die folgenden Verhandlungen waren zäh und zogen sich in die Länge. Die Begeisterung des Emirs für den Heiligen Krieg hielt sich offenbar in Grenzen. Immerhin gelang es den Deutschen, Habibullah zu einer Unterschrift unter ein Freundschaftsabkommen zwischen dem Reich und Afghanistan zu bewegen. Der Vertrag sah die Lieferung von 100 000 Gewehren, Artillerie und nicht zuletzt die Zahlung erheblicher Geldmengen vor. Die Deutschen wussten freilich nicht, dass Habibullah auch mit den Briten verhandelte und sich auch von dieser Seite finanzielle Angebote machen ließ.
Der afghanische Herrscher wartete ganz einfach ab, wem sich das Kriegsglück letztlich zuneigen würde. Im Mai 1916 machten sich die Ausländer enttäuscht wieder auf den Heimweg. In Großbritannien allerdings stufte man die Expedition von Anfang an als sehr gefährlich ein. Nicht nur unternahmen Engländer und Russen beträchtliche Anstrengungen,
die Deutschen auf dem Weg nach Afghanistan abzufangen, sondern König George V. schrieb sogar höchstpersönlich an den Emir und mahnte seine Neutralität an. Dass der Funke des Heiligen Krieges nach Indien überspringen könnte, brachte die Strategen in London tatsächlich ins Schwitzen.
Während sich die deutsche Expedition auf den Weg Richtung Kabul machte, liefen in Berlin und Konstantinopel gleichzeitig die Planungen für den Vorstoß gegen ein nicht minder wichtiges Ziel an: den Sueskanal. Im Dezember 1914 erlebte Jerusalem den denkwürdigen Auftritt eines bayerischen Freiherrn, der im Namen Allahs in den Heiligen Krieg zog.
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