Der Heilige Krieg
allgemeiner Aufstand der Muslime von Casablanca bis Kalkutta sollte den deutschen Waffen zum Sieg verhelfen.
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Enver Pascha (1881 – 1922), skrupelloser Visionär.
Enver Pascha
Er war einer der skrupellosen politischen Träumer des 20. Jahrhunderts und bezahlte seinen Ehrgeiz am Ende mit dem Leben: Enver Pascha, der starke Mann der Türkei während des Ersten Weltkriegs. Der 1881 geborene Ismail Enver stammte aus kleinen Verhältnissen und machte eine steile Karriere bei der Armee. Schon als Student schloss er sich der Bewegung der »Jungtürken« an, zu deren führenden Köpfen er bald gehörte. Zwischen 1909 und 1911 residierte er als osmanischer Militärattaché in Berlin, was seine guten Beziehungen zur deutschen Generalität festigte. 1913, ein Jahr vor Beginn des Ersten Weltkriegs, putschte er sich mit zwei weiteren Generälen, Cemal und Talat, an die Macht, die er bis Kriegsende nicht mehr aus der Hand gab. Enver verfolgte einen politischen Kurs, der das Osmanische Reich auf der Seite der Mittelmächte in den Ersten Weltkrieg hineinzog. Sein Ansehen als General, das er sich durch die Rückeroberung von Adrianopel während des Zweiten Balkankriegs erworben hatte, erlitt aber schon im Winter 1914/15 schweren Schaden. Denn die von ihm geführte Offensive gegen die Russen im Kaukasus endete in einem völligen Desaster. Die miserabel ausgerüstete Armee, deren Soldaten es sogar an Schuhen mangelte, erlitt katastrophale Verluste. Noch schwerer wog die Mitverantwortung Envers an der Ermordung Hunderttausender Armenier auf dem Gebiet des Osmanischen Reiches während des Krieges.
Nach der türkischen Kapitulation floh der »Generalissimus« im November 1918 auf einem deutschen U-Boot und kam bei einem befreundeten Professor in Potsdam unter. Das Versteck war auch nötig, denn ein Istanbuler Gericht hatte Enver wegen der Armeniermassaker in Abwesenheit
zum Tode verurteilt. Doch der umtriebige Exgeneral hegte nach wie vor ehrgeizige politische Ambitionen. Er träumte von einem vereinigten Staat aller Turkvölker in Zentralasien. Hauptstadt dieses »Turanischen« Reiches sollte die alte Stadt Samarkand im heutigen Usbekistan werden, samt einem wiedererrichteten Kalifat.
1920 brach Enver ins heutige Buchara auf, um die dortigen Stämme für seine Ideen zu gewinnen. Aber seine waghalsigen Propagandaeinsätze per Flugzeug und selbst Verhandlungen mit Lenin waren letztlich doch zum Scheitern verurteilt, weil die neuen kommunistischen Machthaber im Moskauer Kreml gar nicht daran dachten, den Süden ihrer soeben nach blutigen Kämpfen eroberten Sowjetunion islamischen Stammeskriegern zu überlassen. 1922 fiel Enver Pascha im heutigen Tadschikistan im Kampf gegen die Rote Armee.
Gleich bei Kriegsbeginn stellte sich Max von Oppenheim dem Auswärtigen Amt in Berlin zur Verfügung. In der Not der Stunde brauchte man alle fähigen Köpfe und sah über seine Herkunft hinweg. Er machte sich sofort daran, die politischen Überlegungen, die längst in der Luft lagen, in einem Strategiepapier zu bündeln. Versehen mit dem Titel »Denkschrift betreffend die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde«, lag es bereits im September 1914 dem Kaiser und der Obersten Heeresleitung vor.
Oppenheims Plan sah das Szenario einer weltweiten islamischen Erhebung vor. Ausgangspunkt sollte die Ausrufung des Dschihad durch den Sultan in Istanbul sein. Von Indien über Zentralasien bis in den Maghreb würde deutsch-türkische Propaganda die Muslime aufwiegeln. Waffen müssten nach Indien geschmuggelt, die Ölfelder Bakus in Brand gesetzt werden. Spezielle Einsatzkommandos sollten den Sueskanal verminen und sogar ausländische Politiker ermorden. Geld dürfe dabei keine Rolle spielen. Das Pamphlet schließt mit der martialischen Aufforderung:
»In erster Linie haben wir gegenwärtig an unsere Selbstverteidigung zu denken, den Islam für uns auszunutzen und diesen nach Kräften zu stärken.… Die Perfidie unserer Gegner gibt uns zudem das Recht, zu jedem
Mittel zu greifen.… Das Eingreifen des Islam in den gegenwärtigen Krieg ist besonders für England ein furchtbarer Schlag. Tun wir alles, arbeiten wir vereint mit allen Mitteln, dass derselbe ein tödlicher werde!« Auch wenn Oppenheim nicht als Erfinder der deutschen Dschihad-Strategie während des Ersten Weltkriegs gelten kann, so brachte er in seiner Denkschrift doch alle Überlegungen zu diesem Thema zusammen, systematisierte sie und empfahl sich damit auch als
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