Der Heilige Krieg
behandelte man sich mit Respekt. Bei aller Konkurrenz waren beide doch Wissenschaftler und hatten gerade bedeutende Entdeckungen gemacht. Bei der Verabschiedung lud Oppenheim Lawrence zu einem Gegenbesuch auf den Tell Halaf ein. Er sollte nicht mehr zustande kommen. Weder Lawrence noch Oppenheim ahnten in diesem Moment, dass sie bald erbitterte Gegner sein würden und jeder auf seine Weise versuchen sollte, den Krieg in die arabische Welt zu tragen.
Ein Riese auf tönernen Füßen: Ende des 19. Jahrhunderts und unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg erlitt das Osmanische Reich gewaltige Gebietseinbußen.
»Bei den jetzt so gespannten Verhältnissen, wo wir fast allein sich bildenden, großen, gegen uns gerichteten Koalitionen gegenüberstehen, ist unser letzter Trumpf der Islam und die mohammedanische Welt.«
Wilhelm II., 1905
Die Trumpfkarte Dschihad
Im August 1914 brach der Erste Weltkrieg aus. Europa zog in einen Krieg, von dem viele glaubten, er werde in ein paar Monaten vorbei sein. Die deutsche Kriegführung folgte dem Schlieffenplan, der eine schnelle Niederwerfung Frankreichs vorsah, um anschließend militärische Kräfte für den als schwerer angesehenen Kampf gegen Russland freizusetzen. Doch an der Marne kam der deutsche Vormarsch schon nach wenigen Wochen ins Stocken, und die Schlachten erstarrten in blutigen Grabenkämpfen. Auch den Optimisten in der Obersten Heeresleitung dämmerte, dass dieser Krieg lange dauern und womöglich die Kräfte des Reiches übersteigen könnte.
Wenn also der Feind nicht an den Fronten zu bezwingen war – wo dann? Die Antwort lag auf der Hand: durch die Destabilisierung seiner Kolonien. Vor allem im britischen Empire und in Russland lebten Abermillionen Muslime. Sollte es nach dem Vorbild des Mahdi-Aufstands gelingen, sie zur Rebellion zu bewegen, so müssten die Gegner Truppen von den Kriegsschauplätzen in Europa abziehen, um ihre Kolonien zu sichern. Die dritte Front, sozusagen im Hinterhof der Feinde, wurde zunehmend zum Hoffnungsanker der Strategen in Berlin.
Bild 136
Colmar Freiherr von der Goltz (1843 – 1916), ein weitblickender Stratege.
Das war die Stunde Max von Oppenheims. Jetzt kam er endlich zum Zug. Hatte er nicht in seiner Kairoer Zeit schon Gedanken zu Papier gebracht, die genau in diese Richtung zielten? Oppenheim war auf den Panislamismus aufmerksam geworden, der von Sultan Abdülhamid II. propagiert wurde. Mittels Beschwörung der religiösen Identität aller Muslime
hoffte der Sultan, nicht nur die nationalen Bewegungen in seinem zerfallenden Vielvölkerstaat auszuhebeln, sondern auch durch die Drohung mit der schieren Masse der muslimischen Weltgemeinde die Europäer daran zu hindern, sich am Osmanischen Reich zu vergreifen. Oppenheim hatte darin schon frühzeitig eine Chance für Deutschland erkannt:
»In dem uns aufgedrängten Kampfe gegen England, den dieses bis aufs Messer führen will, wird der Islam eine unserer wichtigsten Waffen werden.«
Max von Oppenheim, 1914
»Mehr als je ist der Sultan gegenwärtig als der mächtigste muhammedanische Fürst und der Herr und Beschützer der heiligen Städte in der ganzen Welt des Islams angesehen. Mag er für eine Großmacht als direkter Gegner auch weniger gefährlich erscheinen, so würde er im Kampfe gegen jeden Staat, der zahlreiche muhammedanische Unterthanen besitzt, ein wertvoller Bundesgenosse werden können …«
Oppenheim stand mit solchen Überlegungen nicht allein. Wilhelm Leopold Freiherr Colmar von der Goltz, langjähriger Chef der deutschen Militärmission im Osmanischen Reich, hatte ebenfalls schon früh, im Jahr 1899, die strategische Bedeutung der Türkei in einem zukünftigen europäischen Krieg hervorgehoben: »Kommt dieser Krieg, so ist auch der Moment für die Türkei gekommen, … weil 50 Millionen Mohammedaner bereit wären, sie zu unterstützen.«
Und anlässlich des Kriegseintritts der Briten gegen das Deutsche Reich notierte Wilhelm II. schließlich:
»Jetzt muss dieses ganze Getriebe schonungslos aufgedeckt werden und ihm öffentlich die Maske christlicher Friedfertigkeit in der Öffentlichkeit schroff abgerissen werden und die Pharisäische Friedensheuchelei an den Pranger gestellt werden!! Und unsere Consuln in Türkei und Indien, Agenten etc. müssen die ganze Mohammed Welt gegen dieses verhaßte, verlogene, gewissenlose Krämervolk zum wilden Aufstande entflammen; denn wenn wir uns verbluten sollen, dann soll England wenigstens Indien verlieren.«
Ein
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