Der Heilige Krieg
wird: Vor uns liegen Palästina, Buchara, Libanon, Tschad, Eritrea, Somalia, die Philippinen, Burma, Südjemen, Taschkent und Andalusien.« Sieht man von dem Ziel, Spanien zurückzuerobern einmal ab, so war das beileibe keine pauschale Kriegserklärung an den Westen. Im Gegensatz zu Azzam wollten die einflussreichen Ägypter in ihrem Heimatland das verhasste weltliche Regime Hosni Mubaraks bekämpfen – auch hier war nicht der Westen oder gar das Christentum der Hauptgegner. Bin Laden stand unentschieden zwischen den Fraktionen. Der interne Streit über die Ziele und die Strategie endete am 24. November 1989: An diesem Tag wurde Abdallah Azzam in Peschawar von einer Bombe zerrissen, die in seinem Auto explodierte. Wer die Täter waren, blieb bis heute ungeklärt. Durch diesen Anschlag geriet Bin Laden in jene uneingeschränkte Führungsrolle, die ihm vorher kaum jemand zugetraut hatte. Die Strategie wurde fortan stark von Zawahiri geprägt – ihm galten die alten Regime der arabischen Welt als Hauptgegner. Eine islamische Revolution sollte die Herrschaft der korrupten Eliten beenden. Armut,
Unterdrückung, Abhängigkeit von Amerika – das waren die Übel, die es zu bekämpfen galt. Die Muslime sollten, so sah es Al-Qaida, durch die Rückkehr zum wahren Islam ihre Würde wiederfinden.
In Saudi-Arabien hatte der inzwischen 31-jährige Bin Laden den Status eines Stars, und als er Anfang 1990 aus dem Krieg in Afghanistan zurückkehrte, war sein Ruf legendär. Die geschickt ausgeschmückten Berichte arabischer Journalisten aus Pakistan waren nicht vergessen. Er galt als saudischer Held – denn er hatte geholfen, die Sowjets aus einem muslimischen Bruderland zu vertreiben. Bin Laden versuchte zunächst, in seiner Heimatstadt Dschidda in ein normales Leben zurückzufinden. In den Bauunternehmen der Bin-Laden-Firmengruppe gab es immer Arbeit für ihn. Regelmäßig ging er nun wieder in sein Büro und übernahm seinen Part als Familienvater. Doch der Eifer brannte weiter in ihm; erneut angefacht wurde sein Fanatismus durch seine Vortragstätigkeit. Zahlreiche Bewunderer kamen zu diesen Veranstaltungen zusammen und lauschten seinen Thesen. Der Kommunismus und die Sowjetunion erschienen nach dem Wendejahr 1989 nicht mehr als Bedrohungsfaktor, nun wandte sich der Vortragsredner Bin Laden einem neuen Gegner zu. In der arabischen Welt war der Hass auf Israel ein politisch wirksamer Faktor. Als der große Beschützer Israels galten indes die USA, die Bin Laden nun ins Visier nahm: »Die Amerikaner werden erst aufhören, die Juden in Palästina zu unterstützen, wenn wir ihnen schwere Schläge versetzen. Sie werden erst aufhören, wenn wir gegen sie in den Dschihad ziehen«, verkündete Bin Laden beispielsweise in der Familienmoschee seiner Sippe im April 1990.
»Wir müssen alle amerikanischen Produkte boykottieren. Sie nehmen das Geld, das wir ihnen für ihre Erzeugnisse bezahlen, und geben es den Juden, die unsere Brüder töten.«
Osama bin Laden, 1990
Hetztiraden gegen Israel waren stets willkommen in Saudi-Arabien, doch die Amerikaner, die Bin Laden nun verbal angriff, galten als Verbündete des saudischen Königshauses. Saudi-Arabien hatte durch die Ölexporte nach Amerika zwar unermesslichen Reichtum erlangt, aber
es war auch abhängig von den Amerikanern. Man setzte auf die politische und militärische Unterstützung der einen verbliebenen Supermacht. Dass die USA auch den »Erzfeind« Israel unterstützten, nahm das Regime in Kauf. Gleichzeitig pflegte die saudische Elite einen Lebensstil, der von westlichen Produkten und Vergnügungen geprägt war. Straßenkreuzer, Privatjets, Shoppingzentren nach US-Vorbild, McDonald’s und Coca-Cola – auch in diesem Sinne war man abhängig, und zwar von den materiellen Verheißungen des westlichen Lebensstils. Geradezu dekadent waren die Vergnügungen, die reiche Saudis privat – und teilweise im Ausland – zelebrierten. Damit machten sich die saudischen Herrscher und Eliten angreifbar: Was hatte all das noch mit dem traditionell bescheidenen Lebensstil der Beduinen, mit der Strenge der wahhabitischen Lehren zu tun? Das Herrscherhaus kam seinen Kritikern entgegen – nicht etwa indem es sich selbst in Bescheidenheit übte, sondern indem es Sittenwächter auf das Volk losließ. Man schützte sich vor religiösen Extremisten, indem man ihnen Macht gab. Die »Religionspolizei« hatte darüber zu wachen, dass es in der saudischen Öffentlichkeit streng wahhabitisch zuging.
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