Der heilige Schein
äußerten, nicht selten schon innerhalb weniger Minuten von den Administratoren gelöscht werden. Nur ein Zufall?
Die Aufrufe zur Gewaltanwendung, ja sogar zum Mord an modernen Geistlichen, bekennenden Homosexuellen oder Feministinnen lässt man dagegen schon mal stehen, selbst wenn sie mit der Privatadresse der »Feinde des Glaubens und der guten Sitten« versehen sind. Interventionen von Seiten der Betroffenen mit der Aufforderung, diese Aufrufe zu löschen, bleiben in den meisten Fällen erfolglos und häufig sogar unbeantwortet.
In den Leserkommentaren auf kreuz.net wird auch gern der Iran als Musterland dargestellt, denn dort sei man nicht von den verrückten Ideen des Liberalismus angesteckt und wisse noch, was mit unzüchtigen Menschen zu tun sei: »Schafft die Baukräne ran! Die Relativisten, die säkularen Staaten sind eure Todfeinde. Die Muslime stehen uns hundertmal näher als jedes ungläubige Homoschwein!« (22. April 2009) Angespielt wird hier auf die Hinrichtung von zwei minderjährigen Jungen im Iran, die im Juli 2005 wegen angeblicher homosexueller Handlungen zum Tode verurteilt und an Baukränen erhängt wurden.
Dieser Kommentarteil, der bisweilen an die tausend Posts zu einem Artikel umfasst (!), zieht geradezu magisch alle möglichen ideellen Exhibitionisten des rechtskatholischen Spektrums an, die ihre radikalen Äußerungen in anderen Organen nicht veröffentlichen können oder nicht den Mut haben, mit ihrem Namen dafür einzustehen, und die hier nun auf ein größeres Publikum hoffen.
Ein erschreckendes Beispiel hierfür ist ein Kommentar der am 28. Juli 2010 nach dem Unglück bei der Love-Parade in Duisburg auf kreuz.net zu lesen war: »Die Love-Parade als Selbstverherrlichungs-Orgie der Verdammten aus der Unterschicht gehört in den Orkus der Geschichte. Solche Dinge passieren üblicherweise, wenn 60 bis 70 Jahre Frieden das Unkraut im Volk hochschießen lässt. Kondome und Pille taten in den letzten Jahrzehnten ihr Übriges dazu bei, dass sich dieser Menschenmüll auf beispiellose Weise vermehren konnte. Es ist Zeit, es ist allerhöchste Zeit, dass dieser Unrat von der nächsten Sintflut aus den Straßen gewaschen wird.«
Jeder Insider weiß natürlich, dass diese Internetseite besonders im Hinblick auf ihren Sprachstil und ihren Radikalismus nicht die offizielle katholische Position wiedergibt, von der Öffentlichkeit wird sie dennoch nicht selten so wahrgenommen. Und daran ist die katholische Kirche nicht ganz unschuldig. Schließlich kam die offizielle Distanzierung auch der deutschen Kirche sehr spät, und zwar erst, als die großen Medien im Zusammenhang mit dem Fall Williamson auf kreuz.net aufmerksam geworden waren. Zu diesem Zeitpunkt war die Seite schon fast vier Jahre überaus aktiv und hatte die Zahl ihrer Leser innerhalb dieses Zeitraums enorm steigern können.
Auch wenn ich manches, was in ultrakonservativen katholischen Kreisen falsch lief, erst später durchschaute, habe ich schon sehr früh vor dem Imageschaden gewarnt, der der gesamten katholischen Kirche in Deutschland durch kreuz.net droht. Allerdings stieß ich damit auf keinerlei Resonanz bei der katholischen Amtskirche. Stattdessen wurde meine Person zu einem Hassobjekt der Internetseite - eine Aversion, die bis heute anhält und ausgiebig ausgelebt wird. Diese Aversion hat sich dann aufgrund der großen Beliebtheit von kreuz.net bei konservativen Katholiken sehr schnell auch auf andere Kreise ausgeweitet.
Im Grunde ist es müßig, darüber zu rätseln, wer hinter kreuz.net steht. Die Medien haben dies bereits ausführlich getan und dabei die Nähe zu Umgangston und Positionen von »ehrenwerten Gesellschaften« konstatiert, die hier bereits angemessen »gewürdigt« worden sind. Entscheidend ist vielmehr, dass kreuz.net sehr erfolgreich und ohne diplomatische Rücksichten lediglich die Signale umsetzt und konsequent überspitzt, die seit einigen Jahren der Papst, viele der von ihm favorisierten Kirchenfürsten und natürlich die von ihm umworbenen konservativen Kreise aussenden. Was bei kreuz.net »Rechtsholocaust« heißt, das nennt Benedikt etwas diplomatischer »Diktatur des Relativismus«.
Die gemeinsame Marschroute von kreuz.net und konservativen Teilen der Amtskirche zeigt sich ebenfalls deutlich am Beispiel der zitierten Tirade gegen die Opfer der Love-Parade. Dass der von einem tiefen Menschenhass geleitete kreuz.net-Schreiber hier gar nicht so weit von der Position konservativer Bischöfe entfernt war,
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