Der hellste Stern am Himmel
Conalls Gefühl
der Langeweile verflog. Er jagte immer dem nächsten Projekt nach. Es war wichtig, ein neues in Aussicht zu haben, bevor das alte abgeschlossen war, denn die Pausen zwischen zwei Projekten machten ihn ganz unglücklich. Er brauchte stets eine neue Herausforderung. Und doch war jedes Mal, wenn sich eine neue Sache abzeichnete, seine Angst ebenso groß wie seine Erregung.
Jede Übernahme war anders. Die Erfahrung aus abgeschlossenen Projekten war nützlich, aber er kam immer wieder an einen Punkt, wo er nicht wusste, wie es weitergehen würde, und wo er den Weg, den er beschreiten wollte, erst finden musste. Alle dachten, seine Arbeit sei leicht. Sie dachten, er kam einfach irgendwo hin, feuerte die halbe Mannschaft und verlegte den Rest in andere Gebäude, wo die Miete billiger war. Sie nahmen an, das fabelhafte Gehalt bekam er, um mit den Schuldgefühlen klarzukommen, die ihn plagten, weil er die Lebensentwürfe der Menschen zerstörte.
Einmal bei einer Dinnerparty, als er noch mit Saffron zusammen war, fragte ihn einer der Gäste: »Die Arbeit, die Sie machen – wie können Sie da ruhig schlafen?«
Bevor Conall dazu kam, sich zu verteidigen und darzulegen, dass nach seiner aufrichtigen Überzeugung früher oder später alle Mitarbeiter einer angeschlagenen Firma ihre Stelle verlieren würden, wenn er nicht vorher einige Stellen kürzte, ergriff Saffron das Wort. »Wir finden, dass eine Million im Jahr eine gute Hilfe dabei ist«, hatte sie erwidert. Das war natürlich zu der Zeit, als sie seine Fähigkeit, weitreichende Entscheidungen emotionslos zu treffen, gerühmt hatte.
Steckte er mitten in einem Projekt und versuchte sich
ein komplexes Unternehmen als dreidimensionales Gebilde vorzustellen, um zum richtigen Urteil zu kommen, wünschte er sich manchmal, er sei bei der Post wie sein Bruder. Jede einzelne seiner Entscheidungen hatte enorme finanzielle Folgen, und er hatte nie die Zeit, alle möglichen Auswirkungen bis ins Letzte zu durchdenken, denn das Allerwichtigste war, die Sache schnell über die Bühne zu bringen.
Bei jeder Evaluierung packte ihn die Angst. Hatte er die falschen Leute entlassen? Hatte er das falsche Büro im falschen Land abgewickelt? Hatte er die falschen Anlagen verkauft? Was, wenn er diesmal die lebenswichtigen Organe erwischt hatte und das Unternehmen einging?
Das war bisher nie passiert. Aber es war wie beim Mikado! Jedes Mal, wenn er ein Stäbchen rauszog, hielt er den Atem an und wartete darauf, dass alles um ihn herum zusammenbrach.
Und wenn alles ausgestanden war, dauerte die Befriedigung, das Beste erreicht zu haben und die Firma bis auf die Knochen bloßgelegt und in schlanker, gestraffter Form neu zusammengesetzt zu haben, nur einen Abend an, danach setzte wieder die Gier ein. Kym hatte damals gemeint, er sei wie ein Hai, immer in Bewegung, immer auf der Jagd. (Sie hatte auch gesagt, er habe ihr die besten Jahre gestohlen.)
Conall wusste nicht, warum er so arbeitete. Es war nicht des Geldes wegen. Wahrscheinlich hatte er jetzt schon genug verdient, wie immer man »genug« definierte. Er tat es nicht, um sich gesellschaftliche Achtung zu verschaffen – die hatte er bereits. Er arbeitete, weil er arbeitete.
Er gab bereitwillig zu, dass das Gleichgewicht zwischen Arbeit und dem Rest des Lebens bei ihm gestört war. Er hatte nur wenige Freunde. Aber die meisten anderen hatten auch nur wenige Freunde. Er hatte seinen Bruder Joe, klar, aber sein Erfolg stellte sich zwischen sie, obwohl er das nicht wollte. Deshalb brauchte er eine Freundin.
EINUNDDREISSIG TAGE …
Aufstehen , ermunterte Katie sich. Raus aus dem Bett und rein in die Welt .
Sie hatte gerade die schlimmste Nacht ihres Lebens hinter sich, denn am Abend zuvor hatte sie bei einer Präsentation jegliche Professionalität über Bord geworfen und sich an die Bar gesetzt. Und hatte grimmig entschlossen getrunken, bis die scharfen Konturen ihres Lebens verschwammen.
Sie hatte eine neblige Erinnerung daran, dass sie viel zu nah neben Danno gestanden und gesagt hatte: »Ich bin wirklich ganz außerordentlich betrunken. So kann ich bestimmt gut schlafen.«
Irgendwie hatte sie es nach Hause geschafft und war in ein trunkenes, traumloses Koma gestürzt.
Mitten in der Nacht war sie aufgeschreckt. Sie hatte einen schrecklichen Alptraum gehabt, in dem sie auf einem menschenleeren Planeten gelandet war, einem kahlen, grauen Felsen, der umtost war von eisigen, heulenden Winden. Allein, ganz allein, für
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