Der hellste Stern am Himmel
George. »Vielleicht in derselben Straße.«
»Straße? Er lebt im selben Haus. Zwei Wohnungen unter mir.«
»Wie bitte? «
»Was geht da eigentlich vor, in eurem Haus?«, fragte Lila-May in scharfem Ton.
»Wie meinst du das?«
»Da ist doch etwas im Gange. Etwas Seltsames. Das sind zu viele Zufälle. Schassers neue Flamme, dein neuer Kerl.«
»Du liest zu viel Stephen King«, sagte Danno.
Plötzlich erinnerte Katie sich an das schauerliche Gefühl, das sie eines Abends gehabt hatte, vor zwei Wochen
ungefähr, die absolute Gewissheit, dass eine Person oder irgendetwas in ihrem Zimmer gegenwärtig war, anwesend, wie ein auf einer Geige gehaltener Ton. Fast hatte sie den Atem gespürt, und nie zuvor hatte sie solche Angst gehabt. Aber was sollte das mit Conall oder Fionn zu tun haben? Wahrscheinlich nichts.
»Er wohnt da nur für zwei Monate oder so. Er sagt, er dreht eine Gartenserie fürs Fernsehen.«
»Du meinst nicht diesen Typen?«, sagte George mit großen Augen. »Diesen Finn oder so.«
»Fionn Purdue.«
»Genau! Du findest ihn über Google!« George stand auf. »Du kannst ihn googeln. Wirklich. Ich habe sein Bild in der Zeitung gesehen. Google ihn!«
Sie stellten sich alle hinter Katie und sahen gebannt zu, wie Fionns Bild Pixel für Pixel auf dem Bildschirm erschien.
»Ist er in Wirklichkeit auch so schön?«, fragte Tamsin. »Oder haben sie ihn retuschiert?«
Katie schluckte. »Du wirst es mir nicht glauben, aber das hier ist kein besonders gutes Foto von ihm.«
»Wirklich?«
»Er hat mir die Hand geküsst.«
»Die glückliche Hand!«
Sie betrachteten Fionns starken Kiefer, seine golden leuchtende Haut, und überlegten noch, ob seine Haare gefärbt waren, als ein kleiner Funke auf dem Bildschirm aufblitzte, und alle fünf machten einen Satz rückwärts.
»Hat er gerade … gezwinkert?«, fragte Danno leise.
Niemand sagte etwas.
»Hat was mit dem Strom zu tun.«
»Ja, genau, mit dem Strom.« Leicht erschüttert ging jeder an seinen Schreibtisch zurück. Sie mussten sich ein wenig von Katie und den merkwürdigen Vorgängen um sie herum distanzieren.
»Er hat gesagt, er kommt mich heute Abend besuchen.«
»Was soll denn …« Lila-May runzelte die Stirn. »Warum du?«
»Wie soll ich das wissen.«
EINUNDDREISSIG TAGE …
Maeve saß auf den Stufen der Central Bank, aß ihr Sandwich und hielt nach Möglichkeiten für ihre gute Tat Ausschau. Als Erstes fiel ihr der Rucksack auf, ein bunt bestickter winziger Rucksack, wie sie ihn zu gern selbst hätte. Ein Mädchen trug ihn auf dem Rücken, ein mageres kleines Ding mit kurzem schwarzem Haar, ganz unauffällig eigentlich, nur dass es umgeben schien von einer Aura der Einsamkeit. Das Mädchen war allein, sehr allein, und bewegte sich wie ein dunkel leuchtender Punkt durch die ziellos treibende Menge der strahlend hellen Menschen, und die Starrheit der Gesichtszüge war Maeve durchaus vertraut. Obwohl Maeve nicht nah genug an dem Mädchen war, um die Augen zu erkennen, wusste sie doch, was sie in ihnen sehen würde. Da war ihre gute Tat, unmittelbar vor ihr, und Maeve wollte sie von Herzen gern nicht tun. Lieber würde sie zwanzig Buggys zwanzig Treppen hochschleppen, als das hier
tun zu müssen. Aber hatte sie eine Wahl? Plötzlich bemerkte das Mädchen, dass sie beobachtet wurde, und drehte sich zu Maeve um, und als ihre Blicke sich trafen, zwang Maeve sich zu einem Lächeln. Einem Lächeln, das von Herzen kam. Das Mädchen blickte verwirrt – es überlegte, ob sie sich kannten, denn warum sollte ein fremder Mensch ihr mit solcher Wärme zulächeln. Maeve lächelte immer weiter, öffnete ihr Herz, aber das Mädchen sah sie verstört, ja, verängstigt an. Lächle, lächle weiter. Dann wurde Maeves Lächeln zittrig, und sie musste die Augen abwenden. Als sie wieder hinsah, war das Mädchen verschwunden, und darauf fühlte Maeve sich so schlecht, wie sie es nicht für möglich gehalten hatte. Gute Taten sollten ihr ein gutes Gefühl verschaffen und sie nicht in Verzweiflung stürzen. Was hatten sie sonst für einen Zweck? Die Panikattacken hatten auch wieder angefangen, erst am Morgen hatte sie eine gehabt.
Sie könnte mit den guten Taten und dem dreifachen Segen aufhören, dachte sie. Sie funktionierten nicht. Aber wie sollte sie Matt das beibringen?
EINUNDDREISSIG TAGE …
Conall parkte in einer Lücke vor der Nummer 74 in der Star Street, ziemlich nah an der Nummer 66. Wie schaffte er das nur?, fragte Lydia sich. Wieso kriegten Menschen
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