Der hellste Stern am Himmel
schreckte Maeve aus ihrem Schlummer.
»Ach, du lebst«, sagte sie. »Das tut mir leid. Dass sie dich gerettet haben, und überhaupt, aber ich hatte nichts damit zu tun. Ich hätte dich sterben lassen.«
»Maeve, es tut mir leid, wirklich.« Tränen flossen ihm über das Gesicht, er bot das Bild eines gebrochenen Mannes. »Aber ich konnte dir nicht helfen. Nichts konnte dir helfen.«
»Gib nicht mir die Schuld.«
»Ich habe dich bloß immer an das erinnert, was passiert war. Und ich wollte ihn die ganze Zeit umbringen. Ich war voller Wut, jeden Tag, ich konnte einfach nicht mehr.«
»Und du meinst, mir hat es Spaß gemacht?«
»Ich hätte es nicht tun dürfen. Aber das war mir in dem Moment nicht klar. Ich war einfach am Ende. Ich hatte das Gefühl, dass ich nichts mehr für dich tun konnte.«
»Das stimmt. Um sieben Uhr wirst du entlassen. Dann kannst du in die Wohnung kommen. Ich habe dann schon angefangen, deine Sachen zu packen.«
»Wo soll ich hin?«
»Das ist nicht mein Problem. Du wolltest mich alleinlassen, warum sollte ich dann eine neue Wohnung für dich finden?«
»Wie soll ich nach Hause kommen?«
»Mit dem Bus. Oder mit dem Taxi.«
»Du wartest nicht auf mich?«
»Nein.«
Lydia hielt am Straßenrand. »Rausss!«, befahl sie.
»Aber wir sind noch nicht angekommen«, sagte der Fahrgast, ein junger Mann.
»Ich habe es gesagt. Ich habe Sie gewarnt. Wenn Sie weiter Neil-Diamond-Lieder singen, fliegen Sie raus. Sie haben weitergesungen, Sie fliegen raus. Sofort!«
Er brummelte etwas von verrückten Zicken, aber er gehorchte, und sie brauste mit quietschenden Reifen davon. Sie sollte ihr Taxi-Schild ausschalten. Vielleicht kein so guter Moment, einen neuen Fahrgast anzunehmen. Sie war nicht unbedingt in einer sehr rosigen Stimmung.
Hathaway, dieser Arsch. Offensichtlich war er immer noch scharf auf die Lehrerin. Dann viel Glück, ihr war es recht. Vom Alter passten sie bestens zusammen, beide steinalt, und Lydia war es egal, sie war nie wirklich an ihm interessiert gewesen. Eigentlich war es nur so zum Spaß. Aber – dieser Arsch, wirklich …
Sie sprach mit sich selbst. Kein gutes Zeichen. Sie versuchte sich zu orientieren – wo war sie eigentlich? Bei der Melodie von »Sweet Caroline« hatte sie den Überblick verloren. Ach so, Parkgate Street. Ganz in der Nähe
von Eugene’s Café. Sie würde mal reingehen, sich mit Zucker vollpumpen und über ihre Fahrgäste herziehen, falls sie jemanden fand, der ihr zuhören wollte.
»Donuts?«, fragte sie Eugene. »Mit Vanillecreme?«
»Habe ich.«
»Erst mal zwei. Vielleicht komme ich noch mal.«
Sie sah sich nach einem freien Platz um und –
Einen Moment, vielleicht ist noch nicht alles verloren –
– da, in dem heißen und stickigen Raum saß der Arme Scheißer alias Gilbert.
Wahrscheinlich wäre er nicht meine erste Wahl, aber in dieser Phase habe ich nicht mehr viele Möglichkeiten.
Ihre Blicke trafen sich, und er bahnte sich zwischen den anderen Gästen einen Weg zu ihr. Dann stand er vor ihr. Diese Wimpern. Diese scharfen Klamotten. Diese Stimme.
»He, Lydia.«
»He, Gilbert.«
»Wie geht es dir?« Er sah ein bisschen kleinlaut aus.
»Ganz gut. Und dir?« Vermutlich sah sie auch etwas kleinlaut aus.
»Ja, bestens.«
»Habe dich eine Weile nicht gesehen.« Seit ich dich betrogen habe.
»Nein.« Und ich zugegeben habe, dass ich dich betrogen habe.
»Wie geht’s den anderen?«
»Gut.«
»Machen sie sich immer noch gegenseitig die Hölle heiß wegen Zedernduft?«
»Was? Oh nein, in letzter Zeit nicht.«
»Wirklich nicht?« Sie hatten so leidenschaftlich gestritten. Es war ein wichtiger Teil ihres Lebens gewesen. Na gut, ihr wurde klar, dass sich alles veränderte. »Sag ihnen schöne Grüße von mir.«
»Mach ich. Wie läuft das Geschäft?«
»Fantastisch. Und bei dir?«
»Auch fantastisch.« Ein kleines Schweigen entstand. »Also, Lydia …« Er riss die Augen weit auf, breitete seine Arme aus und schien überrascht, dass es weiter nichts zu sagen gab. »Pass auf dich auf.«
»Und du auf dich.«
Er machte auf dem Absatz kehrt und ging mit anmutigen Schritten davon, aber bevor er für immer verschwunden war, rief sie: »Sag mal, Gilbert, ich will dich was fragen.«
Er schien ein bisschen verdutzt. »Was denn?«
»Hast du eine Frau und sechs Kinder in Lagos?«
Er lachte laut, seine Zähne blitzten superweiß. »Ich? Frau? Kinder? Nein, Lydia.«
»Poppy wird enttäuscht sein.« Dann fragte sie ihn: »Bist du
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