Der hellste Stern am Himmel
Bestürzung hinter einer heiteren Miene zu verstecken. »Eine ganz neue Garderobe.«
»Sehr freundlich. Aber das würde die Knoten in meiner linken Achselhöhle nicht mindern. Auch nicht die hinter meiner Kniescheibe.«
Damit erstarb Conalls gekünsteltes Lächeln vollends. Er sah Katie besorgt an. Meinte Jemima es ernst? Katie erwiderte Conalls Blick und schüttelte leicht den Kopf: Sie hatte keine Ahnung.
»Ich merke, ich habe Sie in Verlegenheit gebracht«, sagte Jemima. »Dafür möchte ich mich entschuldigen. Und ich merke, dass Sie Zweifel haben, aber ich meine es todernst.«
Als sie stumm blieben, wiederholte sie: »Todernst.«
»Verstehe …« Conall klang hilflos. »Was können wir tun, um Ihnen zu helfen?«
»Nichts.«
»Nichts gilt nicht.« Conall kramte in seiner Tasche nach seinem BlackBerry. »Ich besorge einen Arzt.«
»Er ist wirklich ein Mann der Tat.« Jemima lächelte Katie zu, die die ganze Sache gar nicht amüsant fand. »Jetzt ruft er die arme Eilish an, könnte ich mir denken. Suchen Sie uns einen Arzt, Eilish! Suchen Sie uns einen Krebsspezialisten, Eilish! Die arme Frau. Conall, stecken Sie dieses schreckliche Gerät weg. Mir kann kein Arzt mehr helfen.«
Sie wollte nach dem BlackBerry greifen und drehte sich dazu herum, und dabei rutschte ihr Rock hoch, so dass ein Gebilde von Knötchen und Schwellungen in ihren Kniekehlen, wie eine Gebirgslandschaft, sichtbar wurde.
Grundgütiger, dachte Katie. Jemima hatte nicht übertrieben.
Sie sah Conall konsterniert an, und als sie seine Miene sah, wusste sie, dass er jenseits des Schocks war. »Gut! Also!« Er wusste, wann ihm das Wasser bis zum Halse stand. »Ich rufe einen Krankenwagen!«
»Auf gar keinen Fall!«, sagte Jemima mit kraftvoller Stimme. »Auf gar keinen Fall! Ich verbiete es Ihnen!«
Conall war selbst überrascht, dass er es nicht wagte, sich ihr zu widersetzen.
»Dafür ist es längst zu spät«, sagte Jemima.
»Nein.« Conall sah schon vor sich, wie Jemima in den Operationssaal gerollt wurde, wie sie Infusionen mit Wunderheilmitteln bekam, wie die Ärzte sie mit ihren
Künsten wiederherstellten. Erregt warf er seinen BlackBerry von einer Hand in die andere.
»Längst zu spät, mein Guter.«
»Wir können doch nicht nichts tun.« Er glaubte, vor Frustration zerspringen zu müssen.
»Doch, das können wir«, sagte Jemima. »Eine gute Lektion für Sie, Conall. Manchmal ist nichts das Allerbeste.«
»Aber warum haben Sie bisher nichts unternommen?«, rief Katie. Warum hatte Fionn nicht darauf bestanden, dass ihr geholfen wurde? Und warum hatte Fionn ihr nicht erzählt, dass Jemima krank war?
Jemima sah sie verschämt an. »Halten Sie mich für feige, wenn ich mein Widerstreben, mich einer weiteren Chemotherapie zu unterziehen, zugebe? Es war wirklich sehr unangenehm. Ich bin achtundachtzig, und ich hatte ein gutes Leben – außer dass es nicht sehr reich an Klatschgeschichten war.«
»Aber die Schmerzen. Haben Sie keine Schmerzen?«, fragte Conall.
»Ach, Schmerzen«, sagte Jemima wegwerfend. »Die Menschen haben solche Angst vor Schmerzen. Aber wie soll man sonst wissen, dass man lebendig ist? Conall, bitte stecken Sie das Telefon ein und nehmen Sie wieder meine Hand. Das hat mir so gutgetan.«
Zögernd ließ Conall sich wieder auf dem Fußboden nieder, und Jemima streckte ihre Hand aus.
»Warum erzählen Sie uns das, wenn wir Ihnen nicht helfen dürfen?«, fragte Conall.
»Haben Sie keine Sorge, Conall. Alles hat seine Zeit.«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
Jemima lachte.
»Und das auch nicht.«
»Gibt es jemanden, irgendwen, dem wir Bescheid geben sollen?« Katie wählte ihre Worte mit Bedacht. Jemima war offensichtlich sehr krank, viel kränker, als sie ahnen konnten bei dem Schwächeanfall, den sie in Matt und Maeves Wohnung hatte, und sie machte keinerlei Anstalten, vom Sofa aufzustehen: Wie angemessen war es da, dass sie und Conall an ihrer Seite waren? Jemima kannte Katie recht gut, aber Conall war für sie fast ein Fremder. »Der bei Ihnen sein sollte?«
»Ich möchte, dass Sie bei mir sind.«
Warum? »Also –« Katie musste sich durchringen, das auszusprechen – »wenigstens sollte Fionn bei Ihnen sein.« Das würde bedeuten, dass sie ihn suchen müsste, was sie ungern tun wollte, weil sie so mit allerlei Schmerzlichem konfrontiert werden könnte.
»In den letzten Tagen hatte ich eine Gelegenheit gesucht, es ihm zu sagen, aber wir wurden immer unterbrochen.«
»Heißt das …?«
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