Der hellste Stern am Himmel
empörte Maeve.
»Guck doch«, sagte sie zu Matt. »Was du gemacht hast.«
»Mein Gott.« Er starrte das Holz an und versuchte sich zu erklären, was geschehen war. Er sah aus, als sei ihm schlecht.
»Das sind wahrscheinlich die Schlüssel.« Maeve nahm die Schlüssel von dem Tischchen im Hausflur, Matt streckte die Hand danach aus und wollte sie entgegennehmen, aber Maeve steckte schon einen ins Schloss.
Jetzt war sie wieder wütend. Jemimas Ausführungen hatten sie beruhigt, und eine Weile war sie, so erstaunlich das schien, voller Hoffnung, aber jetzt schäumte sie wieder vor Wut, und sie spürte es am ganzen Körper – ihre Haut kribbelte, sie hantierte ungeschickt, ihre Augen brannten, und ihre Zunge war geschwollen. Es war so lange her, dass sie überhaupt irgendetwas gefühlt hatte, und jetzt stürzten lauter Empfindungen auf sie ein, und sie hatte alle Mühe, ihrer Herr zu werden.
Ihre zitternden Fingern brauchten eine Weile, um mit dem Schloss fertigzuwerden. »Blödes Ding«, murmelte sie. Sie fluchte selten, aber jetzt fühlte es sich regelrecht befreiend an. Als das Schloss endlich offen war, gab sie der Tür einen heftigen Stoß – sehr wohltuend. Als Erstes bemerkte sie den Geruch von Sauberkeit in der Wohnung. Einer der Nachbarn musste da gewesen sein und geputzt haben, nach Matts … Matts … sie wusste nicht, wie sie es nennen sollte.
Das war sehr fürsorglich, wer auch immer es gewesen war. Katie wahrscheinlich. Trotzdem bekam auch dieser Akt der Nachbarschaftshilfe ihren Zorn ab: Es hätte Matt nicht geschadet, sich die deutlichen Spuren seines Handelns ansehen zu müssen.
»Möchtest du etwa Tee oder so?«, fragte sie ohne jede Freundlichkeit.
»Tee wäre sehr schön.«
Sie setzte Teewasser auf, dann ging sie ins Schlafzimmer und zerrte den großen Koffer unter dem Bett hervor. Das letzte Mal hatte sie ihn auf ihrer Hochzeitsreise benutzt, und ein Adressanhänger der malaysischen Fluggesellschaft hing noch dran. Sie hob den Koffer auf und schmiss ihn mit Wucht aufs Bett, wo er ein paarmal hüpfte, dann machte sie das Schnappschloss auf und warf den Deckel mit beiden Armen zurück.
Sie würde mit seinen Schuhen anfangen. Da standen sie, sauber aufgereiht auf dem Boden des Kleiderschrankes, und sie nahm einen nach dem anderen und schleuderte sie alle Richtung Bett. Manche landeten im Koffer, manche daneben, manche knallten auf den Heizkörper oder streiften das Fenster.
Es war wie ein Spiel, es machte sogar Spaß, und sie bedauerte es, als keine Schuhe mehr im Schrank waren.
Inzwischen hatte wahrscheinlich das Wasser gekocht, sie ging also in die Küche und goss den Tee auf. Matt saß im Wohnzimmer auf dem Sofa und sah verzagt und beschämt aus. »Tee.« Sie hielt ihm einen Becher hin. »Ich habe angefangen zu packen.«
Sein Gesicht zuckte.
»Ach?«, sagte sie. »Du hast mir nicht geglaubt. Aber ich meine es ernst. Es ist wahr. Es geschieht wirklich.«
»Wie willst du allein zurechtkommen?«
»Daran hast du gestern nicht gedacht, als du dir das Badewasser eingelassen hast, oder?«
Er ließ den Kopf hängen. »Ich hätte es nicht tun dürfen«, erwiderte er mit erstickter Stimme. »Ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen.«
»Ich komme schon klar. Allemal besser, als mit dir zu leben und darauf zu warten, dass du es wieder versuchst.« Während sie neben seiner Liege in der Notaufnahme gesessen hatte, war sie alles genau durchgegangen. Dass sie Matt aus der Wohnung warf, war nur eine symbolische Geste, der Versuch, ihm wehzutun, weil er ihr wehgetan hatte. Sie würde wieder zu ihren Eltern zurückgehen. Ihr Leben war sowieso vorbei, es hatte vor drei Jahren geendet, und wenn sie jetzt am Ende der Welt wohnte, machte das keinen Unterschied mehr. Und wenn ihr das himmelschreiend verzweiflungsvolle Bauernleben zu viel wurde, dann konnte sie sich einfach in der Scheune erhängen oder zu nah an der Jauchegrube vorbeigehen oder mit einer Erntemaschine spielen. So viel Auswahl! Eigentlich war es bemerkenswert, dass
Menschen auf dem Bauernhof lang genug am Leben blieben, um ihren einundzwanzigsten Geburtstag feiern zu können.
Inzwischen hatte sie der Gedanke, tot zu sein, so lange begleitet, dass sie sich bei der Vorstellung sehr wohlfühlte. Zugegeben, sie war noch nicht an dem Punkt angelangt, den Matt erreicht hatte, aber sie wollte auch nicht weiterleben. Über die Todesart war sie sich noch unschlüssig. Aber sie würde schon etwas finden.
Noch dreißig Minuten
Lydia
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