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Der hellste Stern am Himmel

Der hellste Stern am Himmel

Titel: Der hellste Stern am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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verbreitete.
    Vier Wochen lang ging Katie also jeden Freitagabend zu dem Kurs, und das, was sie da lernte, konnte man in einem Satz zusammenfassen: Man überwindet Bitterkeit nicht, indem man, wie sie sich eigentlich vorgestellt hatte,
das Haus von Jason und Donanda in Brand steckte, sondern – es war kaum zu glauben – indem man ihnen alles Gute wünschte. Im Verlauf des Kurses wurde sie also dazu angeregt, das Unmögliche zu tun, nämlich sich Jasons und Donandas Leben vorzustellen, in dem es alles gab, was sie, Katie, immer hatte haben wollen: drei Kinder, einen flachen Bauch, jemand, der für sie bügelte. Beim ersten Mal, als sie sich das vorzustellen versuchte, musste sie würgen.
    Es war sehr, sehr schwer. Aber von der Angst, dass Granny Spades Geist sie verfolgen würde, nicht unwesentlich angespornt, machte sie weiter, und am Ende war sie nicht mehr der Mensch, der sie am Anfang des Kurses gewesen war.
    Natürlich gab es immer noch Momente, da bereitete es ihr ein unsägliches Vergnügen, sich lebhafte Gespräche mit all den Menschen auszudenken, die ihr Unrecht getan hatten, und in diesen Gesprächen hatte sie immer die Oberhand, und ihr Gegenüber schrumpfte zu einem kläglichen Häufchen, aber die meiste Zeit war sie frei davon.

FÜNFZIG TAGE
    »Also, entschuldige mal.« Lydia schob sich in das Badezimmer, sie war noch im Nachthemd (ein altes T-Shirt von Gilbert übrigens, das er in die Kleidersammlung geben wollte und das sie gerettet hatte), und stieß mit Andrej zusammen, der sich die Zähne putzte.
    Sie hatte verschlafen. Wie konnte sie nur verschlafen, nachdem sie in letzter Zeit so viele Arbeitsstunden versäumt hatte? Jede Sekunde, in der sie keine Fahrgäste beförderte, verlor sie Geld. In panischer Hast musste sie duschen und sich beeilen, aber in ihrem Badezimmer stand ein halbnackter Pole mit entblößter Brust und muskulösen Armen und nichts als einem kleinen Handtuch um die Hüften. Was für eine … Unverschämtheit!
    »Was machst du hier?«, fragte sie und wedelte ungehalten mit den Armen.
    Er zog eine Augenbraue sarkastisch in die Höhe. Was glaubte sie wohl, was er machte?
    »Egal«, sagte sie. »Geh raus, ich bin spät dran. Ich muss duschen.« Sich zu waschen, war ihr nur in den wenigen Minuten nach dem Aufstehen erträglich, und die musste sie ausnutzen.
    Aber warum sollte er das Badezimmer verlassen, fragte
Andrej sich. Auch er musste zur Arbeit. Auch sein Körper musste einer Reinigung unterzogen werden. Außerdem war er – ohne dass er kindisch triumphieren wollte – der Erste im Bad gewesen.
    »Raus«, wiederholte sie drohend. »Rausrausraus. Und«, fügte sie überaus gereizt hinzu, »zieh dir gefälligst was an.«
    Andrej hatte gedacht, Lydia sei schon weg, da sie normalerweise mitten in der Nacht zu arbeiten anfing. Er hatte angenommen, er sei völlig berechtigt, in seinem eigenen Badezimmer nur ein Handtuch zu tragen.
    Zu ihrer beider Überraschung streckte er seinen rechten Arm aus, wobei eine Bewegung in seiner Schulter zu sehen war, als wären Seile unter der Haut gespannt, und zog Lydia zu sich heran. Sie widersetzte sich, aber er war stark, und sie wurde an seine nackte Brust gedrückt. Wie ein Fels fühlte sich sein Arm an ihrem Rücken an, so hart, dass es fast unmenschlich schien.
    Wie die Metallstangen in einer Achterbahn, damit man nicht rausfällt.
    Sprachlos von seiner Dreistigkeit – dass er es wagte, sie zu berühren – hob sie ihren Blick an seiner glatten Brust vorbei zu seinem Gesicht. In der Bewegung erstarrt, sah er auf sie hinunter. Sein Pfefferminzatem war frisch auf ihrem Gesicht, und seine blauen Augen leuchteten. Aus der Nähe bemerkte sie, dass er noch nicht rasiert war.
    Zwischen ihnen loderte eine Hitze, und sie beide wurden sich einer zunehmenden Härte unter seinem Handtuch bewusst, dann machte sie sich frei, und er sah sie mit verdutztem Gesichtsausdruck an, bevor er aus dem Badezimmer ging.

    FÜNFZIG TAGE …
    Maeve saß vornübergebeugt, die Hand über den Mund gelegt. »Ich denke die ganze Zeit …«, sagte sie dann und verstummte.
    Dr. Shrigley sah sie ruhig an.
    Dr. Shrigley war Psychotherapeutin. Sie war groß, schlank und schön mit ihrem stark konturierten Gesicht, sie trug Mokassins, eine dunkelblaue Öko-Kaschmirstrickjacke, die auch ihrem Mann gehören konnte, und eine Fair-Trade-Baumwollhose, die ebenfalls ihrem Mann gehören konnte. Sie war eine in sich ruhende, intellektuelle Linke, trug kein Make-up und hatte keine Zeit

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