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Der hellste Stern am Himmel

Der hellste Stern am Himmel

Titel: Der hellste Stern am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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stopfte den Zettel in den Komposteimer, wo er hingehörte und wo er vermodern würde, zwischen Gemüseabfällen und Essensresten.

    Als er Maeve den Kaffee brachte, lag sie ausgestreckt im Bett und sah sehr erschöpft aus. »Matt …?«
    »Mmm?«
    »Ich habe das Gefühl, jemand beobachtet mich.«
    Zum zweiten Mal innerhalb von zehn Minuten stürzte Matt in einen Strudel der Gefühle. Ein Verhängnis drohte ihn in den Abgrund zu reißen. Er war von seiner Waghalsigkeit am Vortag entsetzt: Der Umweg, den er gestern gemacht hatte – was hatte er sich dabei gedacht? Er hätte nicht daran rühren sollen. Er hatte etwas aufgewühlt, den Mann auf sie aufmerksam gemacht. Oder hatte es mit diesem Fionn zu tun …?
    »Wie meinst du das, beobachtet dich? Durch das Fenster?«
    »Nein, nicht so.«
    »Beobachtet dich bei der Arbeit?«
    »Vielleicht.«
    »Und wartet vorm Büro auf dich?«
    »Nein, eher … ich weiß, es klingt verrückt, also ob jemand mich durch die Mauern beobachtet.«
    »Durch die Mauern?« Durch die Mauern?
    »Ich weiß auch nicht, Matt. Entschuldige bitte, es ist einfach so ein Gefühl.«
    Sie duschten und machten ihren Porridge und gossen Honig darüber, aber Matt konnte nichts essen. Seine Kehle war wie zugeschnürt, er konnte kaum die Vitamintablette schlucken.

    Dann machen sie sich auf den Weg zur Arbeit, aber ich bleibe in der Wohnung. Ich suche nach etwas. Aber wonach? An ihren Teebeuteln ist nichts Auffälliges, ihre Schubladen
mit Wäsche enthalten keine Geheimnisse, sondern nur Unterwäsche, die schon bessere Zeiten gesehen hat, und im Badezimmer steht eine Flasche Body Lotion von Coco Chanel, ungeöffnet in der Zellophanverpackung, die von einer Staubschicht bedeckt ist, was ich ein bisschen traurig finde, aber nicht sehr aufschlussreich. Dann kehre ich in die Küche zurück und finde das, wonach ich suche, und entre nous, schäme ich mich etwas, denn obwohl ich Maeve und Matt schon seit über einer Woche beobachte, fällt mir erst jetzt auf, dass ihre tägliche Vitamintablette keine Vitamintablette ist, sondern ein Antidepressivum.

EINUNDFÜNFZIG TAGE
    Nach oben, nach oben, sie musste sie nach oben verreiben. Aber sie hatte sie nach unten verrieben, und um den Schaden rückgängig zu machen, nahm sie noch mehr Nachtcreme und rieb sie diesmal in die richtige Richtung – gegen die Schwerkraft. Ich trieb mich ein bisschen herum, hatte noch Zeit zu vertun, und machte den Fehler, dass ich zu nah an sie herankam. Sie spürte meine Gegenwart und erstarrte vor Schreck. Die Härchen in ihrem Nacken richteten sich auf, und sie bekam eine Gänsehaut.
    »Wer bist du?«, flüsterte sie. Sie machte die Augen fest zu, weil sie Angst hatte, wenn sie in den Spiegel guckte, würde sie neben sich jemanden stehen sehen.
    Ich bin darin sehr geschickt. So geschickt, dass ich mich manchmal selbst erschrecke.
    »Wer bist du?«, fragte sie wieder.
    Ich? Ich bin der Wind in den Bäumen, der Tau auf den Blüten, der Regen in der Luft.
    Ah, war nur ein Witz.
    »Granny«, sagte sie. »Bist du das?«
    Nein, Katie, ich bin nicht deine tote Granny.

    Katie hatte ihre Großmutter Spade, die Mutter ihrer Mutter, sehr gemocht. Eigentlich war Granny Spade in den Wochen nach dem Ende der Beziehung mit Jason Katies Rettung gewesen. Ursprünglich war die Trennung ohne Bitterkeit gewesen, ohne die Beteiligung Dritter und ohne große Auseinandersetzungen um die CD-Sammlung; Katie war zwar traurig, aber sie hatte ihre Hoffnung nicht aufgegeben und vertraute weiterhin auf das Glück.
    Bis … ja, bis sie nur vier Monate nach ihrer tränenreichen Trennung erfuhr, dass Jason eine neue Freundin hatte, eine Portugiesin, die – überraschenderweise – schwanger war. Im Handumdrehen, wie Milch, die gerinnt, wurde Katie bitter. Ihr Zustand wurde so schlimm, dass sie an einem Anti-Verbitterungskurs teilnehmen musste. (Der Kurs hieß: »Ohne Bitterkeit leben – Schuldgefühle loslassen, den Weg frei machen für neue Liebe.«) Auf dem Sterbebett hatte Granny Spade diesen Vorschlag gemacht. »Du bist sehr verbittert, Katie«, sagte sie. »Melde dich zu diesem Kurs an.« Sie gab Katie eine Broschüre und starb. Nun gut, der Wunsch einer Sterbenden war der Wunsch einer Sterbenden, und Katie wollte es nicht riskieren, von einem unruhigen Geist verfolgt zu werden. Es war so schon schwierig genug, die Wohnung einigermaßen in Ordnung zu halten, ohne dass ihre tote Großmutter bei ihr einfiel, Eier zerbrach, Spiegel zertrümmerte und Chaos

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