Der hellste Stern am Himmel
zu. Aber schließlich fanden sie das meiste aneinander höchst erfreulich, da wusste man nicht genau, woran man war.
DREIUNDFÜNFZIG TAGE …
Fionn regte sich in seinem Sessel und dachte: Aha! Ja, natürlich! Irgendwann müsste Jemima ins Bett gehen. Er würde sich mit Geduld wappnen. Sie war eine mächtige Frau, und manchmal war sie fürchterlich, aber alle Menschen mussten schlafen. Also trank er seinen Tee und sah sich auf ihrem dummen kleinen Fernseher eine Sendung an, und als Jemima um elf Uhr verkündete, dass sie sich zur Ruhe begeben würde, streckte er sich und gähnte künstlich und stimmte ihr zu, dass es Schlafenszeit sei. Vor ihrer Schlafzimmertür gab er ihr einen Gutenachtkuss, dann wartete er und wartete, bis er regelmäßige kleine Pfeifgeräusche hörte, und obwohl er dann noch einmal fünfzehn Minuten wartete, hatte er Angst, als er die Wohnungstür aufmachte, dass sie plötzlich wie ein Racheengel vor ihm auftauchen und ihn beschämt ins Bett schicken würde. Aber nichts dergleichen geschah. Vielleicht ließ ihr feines Gespür nach.
Er schlich sich die Treppe hinunter und schob einen Zettel unter Maeves Tür hindurch. Ganz unverfänglich, völlig unverfänglich. An beide gerichtet, eine Einladung ins Studio. Wann immer es Ihnen passt. Seine Handynummer. Jemimas Handynummer. Jemimas Festnetznummer. Alles ganz locker.
Katie, in Schlafanzug und hochhackigen Schuhen, kam wieder ins Haus, nachdem sie den Müll weggebracht hatte. Die Fähigkeit, alles im Leben in Schuhen mit zehn Zentimeter hohen Absätzen zu bewerkstelligen, war ein Geschenk, so ähnlich wie eine schöne Stimme ein Geschenk
war, man musste sie achten und locker und geschmeidig halten. Und so wie Sänger jeden Tag ihre Stimmen trainierten, Tonleitern übten und so weiter, nahm auch Katie ihre Übungen ernst. Sollte sie je dieses Geschenk verlieren, sollte sie plötzlich auf Absätzen wackeln oder umknicken und Klagen darüber führen, dass ihr die Ballen wehtaten, hätte sie das Gefühl, ein Stück von sich selbst verloren zu haben.
Sie rannte die Treppe hinauf und war schon fast bei der Wohnung, wo Lydia wohnte, als sie hörte, wie sich Jemimas Wohnungstür ein paar Stufen unter ihr öffnete.
Verdammt! Wie jeder normale Mensch fürchtete sie sich davor, mit ihren Nachbarn reden zu müssen, aber sie war zu nah an Jemimas Wohnung, um das zu vermeiden. Mit Widerstreben drehte sie sich um und machte sich auf einen höflichen nächtlichen Plausch mit der alten Frau gefasst. Doch zu ihrer großen Überraschung war es nicht Jemima, die zur Tür herauskam, sondern ein umwerfend schöner Mann. Ein goldener Gott mit langem Haar und perfektem Körperbau und einem entschlossenen Kinn. Ihr fiel ein Satz ein, den ihre Mutter zu sagen pflegte: Seine Schönheit würde dir das Augenlicht rauben.
Wer war das?
Obwohl sie wie angewurzelt dastand und ihn unverblümt anstarrte, sah er sie nicht – der Beweis, dass sie jetzt, mit vierzig, unsichtbar geworden war. Fasziniert lehnte sie sich über das Geländer und beobachtete ihn, wie er auf Zehenspitzen nach unten ging und einen Zettel bei Matt und Maeve unter der Tür durchschob.
Welche Geschichte steckte dahinter?
Dann spürte sie ein leichtes Schwindelgefühl – die Absätze, die Absätze –, und ihr wurde klar, dass sie über das Geländer segeln und in die Tiefe stürzen könnte, wenn sie nicht aufpasste. Sie richtete sich auf und ging nach oben.
ZWEIUNDFÜNFZIG TAGE
Matt wankte gähnend in den Flur und wollte Kaffee machen – er stand immer vor Maeve auf – und versicherte sich bei einem kleinen Erkundungsgang, dass alles in Ordnung war und das Leben weitergehen konnte, als er einen Zettel auf dem Boden entdeckte. Er sah sofort, dass es keine Wurfsendung war. Der Zettel war handgeschrieben und musste von einem der Nachbarn sein. Das erregte seine Neugier. Was hatten sie sich zuschulden kommen lassen? War der Fernseher zu laut gewesen? Dann las er die Mitteilung, und im nächsten Moment breitete sich in jeder Zelle seines Körpers heißer Zorn aus, so dass er schnell in die Küche ging und die Tür hinter sich zumachte, um Maeve vor diesem Gefühlsausbruch zu schützen.
Das helle Morgenlicht strömte durch das Küchenfenster und tat seien Augen weh, und sein Blut raste so schnell durch seinen Körper, dass seine Ohren heiß wurden. Er stützte sich mit den Händen auf die Küchentheke und senkte den Kopf. Wie rücksichtslos !
Würde er Maeve davon erzählen? Mit Sicherheit nicht! Er
Weitere Kostenlose Bücher