Der Henker will leben Kommissar Morry
verzogen hatten und fragte dann:
„Sie halten mich für einen Mörder, was?"
Claremont lächelte dünn. „Ich bin zu lange in diesem Beruf, um ersten, scheinbaren Verdachtsmomenten allzu viel Gewicht beizumessen, Mr. Ferrick."
„Das beruhigt mich. Ich bin im allgemeinen ein kühler Fisch, aber es ist kein sehr angenehmes Empfinden, zu wissen, daß man sich gegen einen Mordversuch wehren muß. Man liest und hört zu oft, daß völlig Unschuldige zwischen die Mahlsteine des Gesetzes geraten und dabei umkommen."
„Das ist größtenteils Fiktion", meinte der Inspektor.
„Vielleicht. Aber ich habe keine Lust, die berühmte Ausnahme von der Regel zu bilden."
„Wie ich vorhin von Mr. Porezzi hörte, hat er Sie gar nicht erwartet. Darf ich erfahren, was Sie mit Ihrem Besuch bezweckten?"
„Nichts besonderes, Sir. Der Tag war ohnehin verpatzt, und ich hielt es für eine gute Idee, ein bißchen mit Marcus zu plaudern. Ich gehöre zu den altmodischen Agenten, die für Ihre Schützlinge beinahe väterliche Gefühle empfinden."
„Sind Sie mit dem Wagen hier?"
„Ja."
„Würde es Ihnen etwas ausmachen, den anonymen Brief zu holen, den Sie heute morgen erhielten?"
„Im Gegenteil. Ich brenne darauf, Ihnen den Wisch zu zeigen! Vorher schenken Sie mir ja doch keinen Glauben."
„Der Brief, lieber Mr. Ferrick, beweist noch nicht, daß Sie tatsächlich im Central Park waren", gab der Inspektor zu bedenken.
„Das stimmt", meinte Ferrick mürrisch. „Warum wollen Sie den Brief dann überhaupt sehen?"
„Das hat seinen guten Grund."
„Okay. Ich hole ihn. In spätestens einer Stunde bin ich wieder zurück."
„Ich werde bestimmt hier sein."
Die beiden Männer betraten die Halle. Während der Agent durch die Vordertür verschwand, stieg der Inspektor in das erste Stockwerk hinauf. Die Tür zum Tatzimmer stand weit offen. Die Fotografen waren dabei, ihre Apparate und Lampen aufzustellen. Dazwischen krochen einige Assistenten auf der Suche nach Spuren herum. Inspektor Forster, der Leiter der Kommission, stand mit verschränkten Armen beinahe unbeteiligt dabei. Er war ein großer, gut aussehender und gut gekleideter Mann mit regelmäßigen Zügen, die ein wenig verträumt und weltfremd wirkten... ein Eindruck, der absolut nicht zutraf.
„Hallo", sagte er leise, als Claremont sich neben ihn stellte. „Gibt's was Neues?"
„Ich habe Ferrick weggeschickt. Er holt den Brief, den er heute morgen erhalten haben will, und der ihn dazu aufforderte, im Central Park zu erscheinen."
„Komische Sache", brummte Förster.
Claremont schaute sich im Zimmer um. „Wo ist Porezzi?" fragte er.
„Der hat kurz vor Ihnen den Raum verlassen.“
„Haben Sie schon etwas gefunden?"
„Das Messer, das der Täter benutzte, ist Made in USA. Ein gewöhnliches Allroundmesser... ich wette, daß es von Tausenden von Hausfrauen benutzt wird.“
„Versprechen Sie sich davon irgendeinen Erfolg?"
Förster zuckte die Schultern. „Wir haben nicht sehr viele Möglichkeiten, den Dingen auf den Grund zu gehen. Darum müssen wir die wenigen nutzen, die sich uns bieten.“ Er seufzte. „Es ist das erste Mal, daß ich einen Fall bearbeite, wo ein Butler ermordet wurde. Ich bildete mir bislang ein, so etwas passiere nur gelegentlich in englischen Kriminalromanen. Ich habe mich eines besseren belehren lassen.“
„Sie wissen doch, wie das mit den Butlern in den englischen Krimis zugeht. Dort sind sie immer die scheinbaren Schufte, die der Leser bis zuletzt verdächtigt. Aber dann stellt sich natürlich heraus, daß sie mit dem Verbrechen wenig oder gar nichts zu tun haben."
Förster blickte Claremont an. „Sie sagten, daß dieser Hunter einen Brief an Mrs. Porezzi geschrieben hat...?"
„Hier ist er", erwiderte Claremont und zog das Schreiben aus der Tasche. Forster nahm es entgegen und überflog den Text. „Darf ich den Brief zu den Akten legen?" fragte er.
„Bitte schön."
„Sie sind noch nicht dazu gekommen, mir den Grund Ihrer Anwesenheit zu erklären", sagte Forster. „Was wollten Sie eigentlich bei Porezzi?"
Claremont erklärte mit wenigen Worten, wie sein Besuch zustande gekommen war, und er vergaß auch nicht zu erwähnen, welche Sorgen Porezzi bedrückten.
Forster schob die Unterlippe nach vorn. „Wenn wir Pech haben, stoßen wir also unter Umständen noch auf eine zweite Leiche... auf die von Deila Glyne, was?"
„Das will ich nicht hoffen."
„Wie beurteilen Sie diese Frau Porezzi?"
„Schwer zu sagen", meinte
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