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Der Herodes-Killer

Der Herodes-Killer

Titel: Der Herodes-Killer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Roberts
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jemand eine Zeitung auf. Auf der ersten Seite des Evening Standard war das weiße Zelt über Julia Catons Leiche und daneben ein Hochzeitsfoto von Julia zu sehen. Die Bilder befanden sich fast vor Sebastians Nase, nur etwas schräg gegenüber. Doch sein Kopf verharrte wie in Stein gemeißelt.
    In Gillingham schoss Bellwoods Adrenalinspiegel wieder nach oben. Eine Handvoll Passagiere verließ den Zug, aber viel mehr stiegen ein und zwangen die Leute an der Tür weiter nach innen. Der Wagen war unangenehm voll.
    Im Gedränge versuchte eine erschöpfte und fast zu Tränen gestresste Mutter mit einem Zwillingsbuggy und zwei weinenden Kindern unter drei Jahren verzweifelt, einen Platz im Türraum zu finden. Als die Türen zuglitten und der Zug aus Gillingham herausfuhr, rührte keiner einen Finger, um ihr zu helfen.
    Dann stand Father Sebastian Flint auf. Er war größer, als es ihr in Charing Cross erschienen war. Er machte die Frau auf sich aufmerksam und sprach mit ihr, aber es war zu erkennen, dass sie seinem Englisch nicht folgen konnte. Er sagte erneut etwas. Bellwood spitzte die Ohren, konnte aber beim Gerumpel des Zugs nichts verstehen; im Gesicht der Frau zeichnete sich jedoch Verständnis ab.
    Father Sebastian Flint nahm der Frau mit einer gleitenden Bewegung den Buggy aus den Händen, klappte ihn zusammen und verstaute ihn oben im Gepäckfach. Er zeigte auf den Platz, auf dem er gesessen hatte, und ihre Kinder hinter sich herziehend schob sie sich zwischen den Passagieren hindurch, um ihn einzunehmen.
    Flint drehte sich halb um und lächelte zu der Frau hinunter. Bellwoods Blick fiel auf sein Profil. Er würde auch noch als alter Mann gut aussehen, seine Schädelstruktur war vorteilhaft; seine enorme Attraktivität war nicht das flüchtige Geschenk der Zeit.
    Die Frau sagte etwas zu ihm, und er hörte zu. Es gab offensichtlich ein Problem mit den zappelnden Kindern in dem auf je einen Erwachsenen zugeschnittenen Raum der einander gegenüberliegenden Sitze.
    Flint machte einen Vorschlag, wartete einen Moment und beugte sich dann hinunter, um den älteren der beiden Kinder, einen etwa zweieinhalbjährigen Jungen, auf den Arm zu nehmen.
    Auf seinem Arm beruhigte sich das gereizte Kind, lächelte und hob eine Hand zu Flints Gesicht. Flint drehte sich ganz langsam zur Seite, wieder war sein Profil zu sehen.
    Bellwood spürte, wie sich ihr Rücken versteifte. Die Finger des Jungen waren jetzt in Flints Mund. Die Mutter befahl ihrem Kind in einer Sprache, die Bellwood nicht verstand, streng, sie herauszunehmen.
    Flint zog die Hand des Jungen weg und wandte Bellwood den Rücken zu.
    Der Priester erwiderte etwas mit ruhiger Stimme in ihrer Sprache, sagte der Mutter wohl, dass sie sich keine Sorgen machen solle, Kinder seien nun einmal so …
    In Sittingbourne leerte sich der Zug, aber Flint blieb stehen. Er wiegte sich leicht hin und her, und sein Kopf bewegte sich im Rhythmus eines Kinderreims oder Schlaflieds. Der Junge legte den Kopf an Flints Schulter, und bis Sheerness-on-Sea war er fest eingeschlafen.
    In Faversham setzte Flint sich mit dem schlafenden Kind auf dem Schoß hin und kehrte zu seiner vorherigen Reglosigkeit zurück. Eine vollkommen unerschütterliche Ruhe, so bemerkens- wie beneidenswert.
    Die automatische Ansage und die elektronische Anzeige teilten den Passagieren mit, dass der nächste Halt Canterbury East war. Sanft übergab Flint der Mutter das Kind und ging zur Tür.
    Bellwood versuchte, sich vorzustellen, wie es wäre, die Aussicht auf Zärtlichkeit, Intimität und Sex vollständig aufzugeben, wie Flint es getan hatte, als er sich Gott und der Kirche angelobte.
    Sie stand auf und ging mit aufgeschlagener Zeitschrift durch den Mittelgang. Cosmopolitan. «Sex haben, als wäre es immer das erste Mal.»
    Der Zug fuhr langsamer.
    Er blickte sich rasch um, nicht nach ihr, sondern nach der Zeitschrift, und sie klappte sie eilig zu, zutiefst peinlich berührt von dem, was sie da scheinbar gelesen hatte.
    Gut aussehend, gelassen und ein Naturtalent mit Kindern. Um diesen Mann war es wirklich schade.
    Der Zug hielt, aber die Türen blieben geschlossen. Als er die Hand ausstreckte, um auf «Öffnen» zu drücken, fiel ihr Blick zwischen seinem Mantelärmel und dem Saum seines Handschuhs auf eine alte Wunde am Handgelenk. Die weiße Narbe sah aus, als stammte sie von einem Hieb mit einer schweren Klinge, der Schneide einer Machete vielleicht. Sie blickte auf, er schaute zu ihr zurück. Die Türen gingen

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