Der Herr Der Drachen: Roman
Frage war völlig unerwartet gekommen. »Ich muss fort«, murmelte er und wollte zur Tür gehen.
»Warte! Wir können nicht so tun, als wenn nichts geschehen wäre. Du kannst dich nicht vor dir selbst verstecken.«
Er drehte sich zu ihr um. Sie war nur halb so groß wie er, aber der Ausdruck in ihren Augen zeigte ihre Entschlossenheit. »Hab keine Angst um mich«, sagte sie. »Du wirst mir nicht noch einmal wehtun. Wer war diese Frau?«
Er zögerte, es ihr zu erzählen. »Was hast du noch gesehen?«
»Viele Dinge. Das Land deiner Geburt, blutrünstige Semorphim und eine Quelle der Macht, von der du nicht weißt, wie du sie kontrollieren sollst.«
»Macht, mit der ich dich verletzte«, sagte er warnend.
»Ich habe keine Angst vor dir«, sagte sie. »Ich habe gespürt, dass du kommen würdest. Die Geister haben mich gewarnt, dass einer wie du kommen würde, und dass du meinen wahren Namen aussprechen würdest. Er bedeutet Zeugin.«
Uriel. Tallis erinnerte sich daran, wie er den Namen geflüstert hatte, und wie er ihn in seinem Geist gehört hatte.
»Die Namensgebung der Geister erweist sich nun als treffend.« Ihr Blick verfinsterte sich.
»Du bist das erste Zeichen. Eine Zeit der Veränderung bricht an, und sie wird wenig Gutes bringen. Dir folgt ein Sturm, Wüstenmann … Du fühlst das, das konnte ich in deinem Geist sehen.«
Tallis versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn diese Worte erschreckten. Würde er denn sogar hierher Tod und Verderben bringen? »Was willst du von mir?«, fragte er.
Sie stand auf, kam zu ihm, und ihre kleine Hand umschloss sein Handgelenk. Er versteifte sich vor Anspannung und hatte Angst sie anzusehen, aus Furcht vor dem, was beim letzten Mal geschehen war. »Du musst lernen, deine Macht zu kontrollieren, Tallis. Es ist eine große Gabe, aber sie verlangt ihren Preis. Einen Preis,
den du hier nicht bezahlen kannst. Du musst lernen, die Macht zu zügeln, indem du Hilfe bei denen suchst, die wie du sind.«
»Du willst, dass ich fortgehe?«
»Das musst du.« Der Griff ihrer Finger war fest. »Du weißt, dass du nicht bleiben kannst. Morgen musst du mit dem Krieger aufbrechen.«
Sie warf einen kurzen Blick zu Jared. »Er wird es verstehen.«
Tallis’ Kehle war eng und trocken. »Ich werde ihn nicht verlassen.«
»Sieh mich an.« Ihre Stimme zitterte leicht, aber dennoch war sie nachdrücklich. Langsam, fast zaghaft, schaute er sie an.
»Du musst gehen. Wenn der Gefallene kommt, wird er deine Macht spüren, und das wird ihm nicht zusagen. Er wird dich töten, und du wirst ihn nicht aufhalten können, weil du nicht weißt, wie du deine eigene Macht einsetzen kannst. Aber ich will dir einen Rat geben: Deine Macht ist wie ein großer Fluss. Um sie zu kontrollieren, musst du sie eindämmen und ihr mit deinem Geist eine Grenze setzen. Du darfst immer nur ein wenig davon entweichen lassen. Nutze nur, was du brauchst.«
»Wer ist der Gefallene?«, fragte Tallis, den ihre Worte aufgewühlt hatten.
»Der Gefallene ist der Gott, der einst über uns alle herrschte. Er ist der Herr der Semorphim, ihr Erschaffer; unter ihm waren sie alle Sklaven.«
»Aber warum sollte er mich töten wollen? Die Clans wurden von Seinesgleichen nie beherrscht. Wir haben unsere eigenen Führer.«
»Ja, die Toten Lande sind für ihn verschlossen. Die Uralten, die über den Sand herrschten, sind sogar noch älter als er, älter als alle, und er hat sie nie überwinden können.« Alterin ließ seinen Arm los, und ihre dunklen Augen sahen bedrückt aus.
»Aber deine Führer werden dich hier nicht schützen, Tallis.«
Tallis schüttelte den Kopf. »Was soll ich dann deiner Meinung nach tun? Wegfliegen, davonlaufen?«
»Ja, du musst mit dem Krieger aufbrechen, damit du lernen
kannst, deine Macht zu kontrollieren. Ich weiß nicht, ob ich es richtig gesehen habe, aber diese Macht in dir könnte uns alle eines Tages von der Herrschaft des Gefallenen erretten.«
»Diese Macht, die ich habe, ist etwas Krankhaftes«, fauchte Tallis. »Und sie hat nichts als Schmerz gebracht, mir und meinem Clan. Ich werde nicht zulassen, dass sie mich dazu bringt, Jared zu verlassen, nach allem, was er für mich geopfert hat.« Wut stieg in ihm auf, und er wandte sich ab. »Ich werde ihn nicht verlassen«, wiederholte er und ging aus der Hütte.
Er lief über die Brücke zum Hauptlaufsteg, stützte sich schwer auf das Geländer und sog tief die feuchte Dschungelluft ein. Das Holz unter seinen Händen knackte. Jared
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