Der Herr Der Drachen: Roman
Angst.«
»Das sollte er aber.« Alterin saß da und sah sie an. »Du bist etwas Besonderes für ihn, genauso wie dein Bruder. Euer Blut singt füreinander.«
Shaan wich ihrem Blick aus.
»Warum hat er dich hierhergebracht? Und weshalb hat er dich in der letzten Nacht zum Fluss geführt?«
»Ich weiß es nicht.«
Alterin runzelte die Stirn. »Es muss einen guten Grund dafür geben. Was macht er dort?« Ihre braunen Augen starrten Shaan an. Doch sie schwieg. Konnte sie dieser Frau vertrauen? Bisher hatte sie nur mitbekommen, dass die Dorfbewohner sich Azoth gegenüber verhielten, als sei er ein Gott. Woher sollte sie wissen, ob er Alterin nicht nur zur Probe ausgesandt hatte, um herauszufinden, was sie tun würde? Shaan drückte ihre verletzte Hand an den Bauch. Jared schien ihr zu vertrauen, aber war das genug?
Alterin blinzelte, dann seufzte sie, lehnte sich zurück und faltete die Hände im Schoß. Der Regen wurde heftiger, prasselte auf das mit Stroh gedeckte Dach und tropfte von dessen Rand auf die Fensterbank hinab.
»Ich weiß, dass du dich fragst, ob ich deine Freundin bin«, sagte sie. »Doch du musst wissen, dass ich die Seherin dieses Dorfes bin. Ich muss versuchen, mein Volk zu beschützen und es zu beraten. Einst war der Gefallene ein Gott, der Hüter des Steins. Er herrschte über die Seelenfresser - die Alhanti. Hast du von ihnen gehört?«
Shaan nickte.
Alterins Augen wanderten von ihrem Gesicht über den Boden der Hütte. »Ja. Wir alle, all die vielen Völker dieses Landes, stammen aus dem gleichen Ort und sind alle Sklaven des gleichen Herrn. Al Hanathoa wurde die Stadt genannt. Heute ist sie eine Ruine tief im Dschungel, aber dort lebten wir vor langer Zeit unter seiner Knute.« Ihre Stimme wurde leiser. »Nachdem er besiegt worden war, kam mein Volk hierher. Unter all den Sklaven waren
wir die erbärmlichsten. Weil wir die Erde anbeteten, verachteten uns die Alhanti am meisten. Sie schlugen uns, stahlen unsere Kinder und machten uns zu ihren Hunden. Um zu überleben, verschrieben wir uns dem Gefallenen. Wir machten ihn zu unserem Gott, damit er uns errettete.« Sie sah aus dem Fenster, ihr Blick war abwesend. »Und weil meine Vorfahren dies taten, überlebten wir. Nicht alle, aber genug. Als Azoth endlich verbannt wurde, kamen sie hierher und wandten sich wieder der Erde zu, um Rat bei den Geistern der Bäume zu suchen. Aber wir wussten immer, dass er zurückkehren würde. Wir lebten mit diesem Wissen, und jetzt, da er hier ist, müssen wir erneut versuchen, einen Weg zu finden, um zu überleben.«
Ihr Blick wanderte zu Shaan zurück. »Du darfst nicht denken, dass wir ihm blind folgen. Auch wenn es so aussehen mag, wenn er zugegen ist. Aber wir müssen vorsichtig sein. Selbst wenn er viel von seiner Macht verloren hat, ist er immer noch gefährlich, und wenn er seine volle Stärke zurückerlangt, werden wir gegen ihn so ausgeliefert sein wie ein einzelnes Blatt der Kraft eines Sturms.«
»Was willst du von mir?«, fragte Shaan.
»Ich möchte wissen, warum er dich hierhergebracht hat. Weshalb er dich zum Fluss führt.«
Shaan rieb sich das Gesicht. »Er will, dass ich etwas für ihn finde. Er nennt es den Stein. Dazu schiebt er mir einen Ring auf den Finger und … schickt mich an einen anderen Ort, an einen Ort der Dunkelheit. Dort fühle ich mich, als sei ich kaum noch vorhanden, und dann stößt er mich hinein, direkt auf etwas zu, was sich dort befindet.«
Alterin biss sich auf die Lippe. »Er sucht den Schöpferstein. Sollte er ihn finden, wird er sein Geburtsrecht zurückerlangen und wieder zum Gott werden. Vielleicht wird er sogar versuchen, seine Schöpfungen auf ein Neues zum Leben zu erwecken.«
»Dann werde ich diesen Stein eben nicht für ihn finden«, sagte Shaan, der sich bei dieser Vorstellung der Magen umdrehte.
»Ich denke nicht, dass es so einfach sein wird. Es gibt einen
Grund, warum er gerade dich benutzt, um ihn zu finden. Du bist etwas Besonderes. Vielleicht bist du für den Stein an diesem schwarzen Ort wie ein Signalfeuer, und der Ring verstärkt dein Licht.«
Shaan sagte nichts. Sie dachte an die Dunkelheit und die Macht, die Azoth dort besaß. Die Frau hatte recht. Sie fühlte eine Verbindung, wenn er ihr den Ring aufsteckte, einen Faden, der sie mit einem unsichtbaren Anderen verband. Und auch Azoths Freude spürte sie jedes Mal, wenn sie ein wenig näher herangelangte.
»Ich denke, wenn wir herausfinden, aus welchem Grund er dich braucht, um den
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