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Der Herr Der Drachen: Roman

Titel: Der Herr Der Drachen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lara Morgan
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Mailun in einem Urschrei, der weit über die Wüste trieb.
    Tallis stand auf und nahm von Karnit ein Messer entgegen. Er stellte sich neben seinen Vater und fuhr sich mit der Klinge über den Unterarm. Aus dem flachen Schnitt troff warmes Blut auf das Gesicht seines Vaters, dem so das Blut zurückgegeben wurde, das man ihm genommen hatte. Tallis sah den fallenden Tropfen zu und begann zu zittern. Sein nackter Oberkörper wurde von einer Gänsehaut überzogen. Das Schreien verebbte und schwoll wieder an, und der Erdboden unter ihm schwankte. Er blinzelte und versuchte, wieder scharf zu sehen, dann holte er tief und zitternd Luft. Der Atemzug in seinen Lungen klang lauter als das Schreien. Unter großer Anstrengung hob er den Blick und schaute in die Nacht hinter dem gähnenden Eingang zur Großen Höhle.
    Draußen herrschte solche Schwärze, dass es ihm vor den Augen verschwamm. Er konnte nichts hinter den Lichtern der Höhle erkennen, nur endlosen Schatten. Plötzlich fuhr ein scharfer Windzug aus der Wüste herein und peitschte ihm ins Gesicht. Er glaubte zu hören, wie er ihm etwas zuwisperte. Dann legte er sich wieder. Tallis schwankte, und Hände wurden ausgestreckt, um ihn zu stützen. Das Messer fiel ihm aus der Hand, und er ließ zu, dass man ihn zurückführte, damit er neben seiner nun wieder schweigenden Mutter Platz nehmen konnte. Wann war das Schreien verstummt?
    Verwirrt sah er zu, wie die drei Mitglieder des Kreises je eine
Fackel griffen, sich umdrehten und hinaus in die Nacht gingen. Das Licht ihrer Flammen ließ Schatten auf dem Scheiterhaufen tanzen, der auf den Leichnam seines Vaters wartete. Die drei stellten sich um das aufgeschichtete Zunderholz und bedeuteten den Trägern, Haldane herbeizubringen. Vier Männer mit nacktem Oberkörper setzten sich in Bewegung, die Bahre auf den Schultern, und trugen sie nach draußen. Wieder ertönte das Schlagen der Trommel.
    Tallis war wie betäubt, als sie eine Fackel an seinen Vater hielten. Seine Mutter griff nach seiner Hand, und er umklammerte die ihre, derweil die Flammen immer höher stiegen und sich der Rauch in die schwarze Wüstennacht emporschraubte.

10
    T allis lehnte sich gegen die Felswand vor der Großen Höhle und sah sich die helle, rosafarbene Tönung an, die sich den Horizont entlang ausbreitete. Die Luft war kühl, und er konnte noch immer die Mondsichel sehen, die bleich und kraftlos in der wolkenlosen Morgendämmerung zu verblassen begann. Er hatte nicht geschlafen und fühlte sich leicht und körperlos, als wäre er nur noch eine menschliche Hülle, die darauf wartete, davongeblasen zu werden, über den Sand hinweg.
    Er betrachtete seine Hände. Seine Finger waren von feinem, grauem Staub bedeckt. Irgendwann in der Nacht war er zum Scheiterhaufen gestolpert und hatte seine Hände in die noch immer heiße Asche gelegt. Er konnte sich kaum noch daran erinnern, aber eine Blase bildete sich an seinem Daumen und war der fühlbare Beweis für das, was er getan hatte. Er sah zu der Stelle, an der seine Mutter schlief. Irgendwann kurz vor dem Morgengrauen war sie vom Schlaf überwältigt worden, doch nun waren ihre Augen offen, und sie starrte auf den kalten Haufen aus Asche und Knochen. Ein Windstoß fuhr hinein und trieb Haldanes Asche über den Wüstensand davon.
    »Kaa holt immer die Besten«, sagte Mailun leise. »Die Götter meines Volkes waren nicht so gierig wie dieser.« Sie drehte sich um, stützte sich auf einen Arm und sah Tallis an. »Vielleicht werden sie mir eines Tages auch noch dich wegnehmen, wenn ihnen der Clan nicht zuvorkommt.« In ihrem Gesicht waren keinerlei Gefühlsregungen zu lesen, und es wirkte so spröde wie ein Knochen, der im Sand unter der Wüstensonne ausbleicht.
    Tallis fand keine Worte, um sie zu trösten, und ließ stattdessen den Blick über die lautlose Wüste wandern.

    »Zuerst Cale und Malshed, die Jungen seiner ersten Herzenskameradin«, flüsterte sie. »Und nun er.«
    »Vielleicht solltest du zurückgehen, wenn ich fort bin«, sagte Tallis. »Zurück in den Norden.«
    »Nein.« Sie setzte sich auf und lehnte sich gegen den Felsen. »Die Ichindar werden mich nicht aufnehmen. Aber wenn man dich verstößt, werde ich mich freiwillig ins Exil begeben und dich begleiten.«
    Er starrte sie entsetzt an. »Das würde ich nie zulassen! Hier hast du Leute, die sich um dich kümmern werden.« Er dachte an das Versprechen, das ihm Jared gegeben hatte.
    Mailun sah ihn ruhig an. »Hier gibt es niemanden für mich,

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