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Der Herr der Falken - Schlucht

Der Herr der Falken - Schlucht

Titel: Der Herr der Falken - Schlucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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wußten, daß in diesem See ein schreckliches Ungeheuer hauste. Und sie wußten, daß der See unendlich tief war. Jemand, der über Bord ging, war rettungslos verloren, verschwand im Schlund des Ungeheuers, oder wurde in die endlosen, eisigen Tiefen gezogen. Die Männer legten sich kraftvoll in die Riemen, als ruderten sie um ihr Leben, und beteten zu Thor, daß sie Inverness wohlbehalten erreichen würden. Sie brauchten keine anspornenden Zurufe, denn die
    Angst vor dem Seeungeheuer spornte sie an und setzte ungeahnte Kräfte frei.
    Chessa kauerte im Bug und versuchte durch den dichten, grauen Schleier zu spähen. Kein Stern am Himmel war zu sehen, nur der Nebel verbreitete einen unheimlichen, fahlen Schein. Sie legte die Hände als Muschel an den Mund und flüsterte: »Caldon, komm zu mir, wie du zu Varrick und Kiri kommst. Ich beherrsche Varricks Zauberkunst nicht, ich besitze nicht seinen Burra, und ich besitze nicht Kiris kindlichen Glauben. Ich rufe dich dennoch. Hilf mir.«
    »Was sagt Ihr da, Chessa?« keuchte Kerek.
    Sie lächelte ihm zu, während er das Ruder ebenso kraftvoll durchs Wasser zog wie seine sechs Leute. »Ich rufe das Ungeheuer«, sagte sie mit lauter Stimme, damit alle sie hören konnten. »Cleves Vater ruft es, und es gehorcht ihm. Er ist ein Zauberer. Auch Kiri ruft das Ungeheuer. Wenn es kommt, wird es mich retten.«
    Die Männer hoben die Köpfe, und in ihren Gesichtern stand nackte Angst. »Seht euch diesen Nebel an«, fuhr sie mit beschwörender Stimme fort. »Das ist unnatürlich. Seht nur den unheimlichen Schimmer, der von ihm ausgeht. Schaut genau hin, bald wird das Ungeheuer erscheinen. Caldon ist größer als ein Kriegsschiff. Es ist eine mächtige Seeschlange, die seit Hunderten von Jahren hier haust, vielleicht sogar seit Tausenden, vielleicht auch seit Anbeginn der Zeit. Selbst die Römer haben sich nicht an den See herangewagt aus Furcht vor dem Ungeheuer. Kein Fischer wagt sich je in die Mitte des Sees, keiner würde seine Netze nach Sonnenuntergang auswerfen, denn das bedeutet den sicheren Tod, seine Leiche würde nie gefunden werden. Horcht! Ich glaube Caldon nähert sich.«
    Einer der Männer schrie gellend: »Kerek, wir werden alle sterben!«
    »Schweigt, Chessa! Sonst muß ich Euch den Knebel wieder in den Mund stecken«, warnte Kerek eindringlich.
    »Ich weiß nicht, ob Caldon es zuläßt, daß du mir zu nahe kommst, Kerek«, entgegnete Chessa seelenruhig.
    »Hört auf damit...«
    Plötzlich schwappte eine riesige Welle über das Boot, und kaltes Wasser ergoß sich klatschend über die Männer. Sie ließen die Ruder sinken.
    »Weiterrudern!« befahl Kerek. »Wir rudern ans Ufer. Ans Ufer! Es ist nicht weit. Ohne diesen verdammten Nebel könnten wir sehen, daß es ganz nah ist. Rudert, Leute! Oder ihr seid des Todes.«
    Ein zweiter Brecher schlug gegen die Bootswand, und wieder schwappte ein kalter Guß über die Männer. Das Wasser verschonte Chessa, ergoß sich aber voll über Kerek, als sei es für ihn bestimmt. Die Männer reagierten mit panischem Entsetzen. Kerek war aufgestanden und wies mit ausgestrecktem Arm in die Nacht. »Das Ufer ist ganz nah. Rudert, Männer!«
    Vom Bug her war ein leiser Pfeifton zu hören. Wieder schlug eine Welle gegen das Boot, diesmal war sie weniger hoch und rollte an der Bootswand entlang, als schabe etwas Großes daran. Das Pfeifen verstärkte sich. Die Männer waren wie gelähmt, denn sie wußten, das Ungeheuer war ganz nah. Einer von ihnen brüllte: »Prinzessin, bittet das Ungeheuer, es soll uns verschonen. Sagt dem Monster, daß wir Euch die Freiheit geben, wenn es uns am Leben läßt. Wir gehorchen Kereks Befehlen nicht mehr, sagt das dem Monster.«
    »Caldon«, rief Chessa laut in die Nebelnacht. »Du hast den Mann gehört. Wenn er die Wahrheit spricht, entlasse die Männer aus deinem Todesgriff. Wenn er lügt, vernichte sie!«
    Der Pfeifton veränderte sich und hörte sich nun an wie das Zischen und Schnauben eines Drachens, bevor er seine Beute verschlingt. Das Zischen war jetzt ganz nah. Die Hitze des fauchenden Atems schlug den Männern ins Gesicht, die jeden Augenblick erwarteten, daß der mächtige Schlangenleib sich um das winzige Boot winden und es mit Mann und Maus in den Abgrund reißen würde. Die Männer spürten schon den glitschigen, schuppigen Leib des Ungeheuers und rochen seinen tödlich giftigen Atem. Kleine Wellenkämme schimmerten im unwirklichen Licht des Nebels und schlugen unaufhörlich gegen die

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