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Der Herr der Falken - Schlucht

Der Herr der Falken - Schlucht

Titel: Der Herr der Falken - Schlucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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wollte. Er sah, wie sie sich zaghaft dem Mann näherte. Er war voller Angst und Zorn, ebenso wie die Frau am Herdfeuer, die den Mann auf dem königlichen Stuhl nicht aus den Augen ließ.
    Er wußte, daß er träumte, konnte aber nicht aufwachen. Er spürte, wie der Mann ihn ansah, wie er die Stirn runzelte. Jetzt stand er auf und gab dem Mädchen einen Wink, sich zu entfernen. Er trat auf Cleve zu, der wußte, daß der Mann ihn nun umbringen würde. Er stand wie gelähmt, unfähig, seine Füße zu bewegen, und brachte kein Wort hervor. Der Mann ging vor ihm in die Hocke, streckte die Hand aus und strich ihm das goldblonde Haar aus der Stirn. »Du siehst so zerzaust aus wie dein Hirtenhund«, sagte er und zog ein schmales Messer aus der Scheide an seinem Gürtel. Cleve war vor Angst ganz benommen. Der Mann schnitt ihm eine lange Haarsträhne ab, die ihm in die Stirn fiel, tätschelte Cleves Wange und erhob sich. »Lauf, und spiel draußen mit deinem Pony.« Cleve suchte die Augen der Frau am Herd. Sie wich seinem Blick aus. Er blickte zu dem Mädchen hinüber, und sie nickte ihm stumm zu. Da machte er kehrt und rannte aus dem großen Haus.
    Erst jetzt hörte er den Schrei. Er wandte sich nicht um. Er ertrug es nicht. Er rannte einfach weiter, rannte und rannte ...
    Er fuhr aus dem Schlaf hoch, die Kehle war ihm zugeschnürt, sein Atem ging rasselnd. Er wußte, daß sein Gedächtnis längst vergessen geglaubte Erinnerungsfetzen zusammenfügte. Er war gezwungen, sie ein zweites Mal zu durchleben. Er mußte sich endlich darüber klar werden, wer er vor so langer Zeit war. Im Morgengrauen schlief er noch einmal ein.
    Und als er wieder erwachte, war die Erinnerung deutlich zurückgekehrt.
    Merrik und Laren, Herr und Herrin von Malverne, stiegen mit Cleve zum Rabengipfel hinauf. Beide wußten, daß ihm etwas Wichtiges widerfahren war und warteten geduldig, bis er den Augenblick für gekommen hielt, ihnen davon zu berichten.
    Cleve schwieg, bis sie den Felsvorsprung erreicht hatten. Er blickte über den Fjord und die schroffen Felsen, bevor er sich lächelnd an seine besten Freunde wandte: »Ich heiße nicht Cleve. Mein Name ist Ronin. Die Vorfahren meiner Mutter verließen vor vielen Generationen Nordirland und wanderten nach Westen, zunächst auf die vorgelagerten Inseln, dann auf das Festland nördlich und südlich der beiden römischen Wälle. Sie kämpften gegen die Pikten, die Briten und die Wikinger. Schließlich besiedelten sie eigenes Land. Heute nennt man sie Schotten. Mitte des letzten Jahrhunderts unter Kenneth verbündeten sie sich mit den Pikten.«
    »Du bist also Schotte?« fragte Merrik verwundert. »In welcher Gegend lebt deine Familie?«
    »Im Nordwesten, am Ufer eines großen Sees, genannt Loch Ness. Es ist ein wildes Land, Merrik, wilder als Norwegen, aber ohne die eiskalten Wintermonate. Es treiben sich dort viele Gesetzlose herum. Es wird aber auch viel Handel getrieben. Sanftes Hügelland wechselt mit weiten Ebenen ab, und dazwischen ragen rauhe, karstige Berge empor, von Tälern zerschnitten. Es gibt auch tiefe Schluchten mit tosenden Wasserfällen. Es würde dir dort gefallen.«
    »Merrik, erinnerst du dich an den Traum, von dem ich euch erzählt habe? Er kehrt seit etwa zwei Jahren immer wieder, und jedesmal wird er deutlicher und ausführlicher. Letzte Nacht hatte ich den Traum erneut. Und als ich heute morgen erwachte, war meine Erinnerung vollständig.« Nach kurzer Pause fuhr er fort: »Ich bin zur Hälfte Wikinger. Mein Vater war Olrik, genannt der Widder, ein mächtiger Häuptling der Wikinger, wie sein Vater und der Vater seines Vaters vor ihm. Man nannte ihn den Herrn der Falkenschlucht, und seine Festung wurde Kinloch genannt. Ich sehe ihm ähnlich mit meinem goldblonden Haar. Woher die seltsame Farbe meiner Augen stammt, weiß ich nicht. Ich war sehr klein, als man mich verschleppte. Meine Mutter stammte aus dem irischen Königreich Dalriada, sie war klein und hellhäutig, ihr Haar war feuerrot wie ein Sonnenuntergang nach einem heißen Sommertag. Sie war sehr schön. Mein Vater entführte sie auf einer Plünderfahrt und heiratete sie. Sie siedelten sich im Nordwesten in Küstennähe an. Ich habe einen Bruder und zwei Schwestern, die alle älter sind als ich. Mein Bruder heißt Ethar, die Schwestern Argana und Cayman.«
    »Der Herr der Falkenschlucht«, wiederholte Merrik leise. »Ich habe von ihm gehört. Möglicherweise von meinem Vater. Was ist geschehen? Warum wurdest du in die

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