Der Herr der Falken - Schlucht
mich.«
Er küßte sie wieder, dieses bezaubernde Geschöpf, das ihn für schöner hielt als einen Gott, diese anbetungswürdige junge Frau, die eine Prinzessin und daher unerreichbar für ihn war. Sie war so tief verletzt worden. Er würde dafür sorgen, daß sie nicht noch mehr leiden mußte.
»Du mußt Wilhelm heiraten.« Er küßte ihr Ohr. »Chessa, du bist eine Prinzessin. Du mußt Wilhelm heiraten.«
»Ich werde darüber nachdenken, wenn du ihm eine Botschaft schickst und ihm sagst, was geschehen ist.«
»Es würde Tage dauern, bis die Nachricht ihn erreicht und
wiederum viele Tage, bis seine Antwort auf der Habichtsinsel eintrifft.«
»Es ist dir also lieber, daß ich es ihm selber sage, ihm dabei in die Augen schauen und seine Verachtung darin lesen muß? Du bist ein hartherziger Mann, Cleve.«
»Nein, das meine ich nicht.« Er drückte sie noch fester an sich und küßte ihre Schläfe. »Chessa, du bist ihm versprochen. Dein Vater und Herzog Rollo haben es so bestimmt.«
»Aber es hat sich doch alles verändert.« Das zumindest entsprach der Wahrheit. Sie küßte seinen Hals, und ihre Fingerspitzen berührten sanft seinen Mund. »Cleve, alles hat sich verändert«, sagte sie wieder. »Verachtest du mich? Haßt du mich, weil ich von Ragnor mißbraucht wurde?«
»Bei den Göttern, nein. Dummes Schäfchen. Du bist Chessa und wirst es bleiben.«
»Warum können wir dann nicht...«
»Du sagst, du seist anfangs bei Ragnor blind gewesen. Sieh dir doch mein Gesicht an. Sieh doch!«
Sie hob den Kopf, blickte ihn unverwandt an und legte den Kopf fragend zur Seite. »Ich verstehe dich nicht. Du bist schön. Ich kann mich nicht sattsehen an dir.«
Er konnte ihr nicht glauben. Sie log. »Siehst du denn meine Narbe nicht? Hältst du mich für einen Narren? Macht es dir Spaß, dich über mich lustig zu machen? Ich bin entstellt, häßlich, ein Monster, häßlicher als der Drachenkopf am Bug von Merriks Kriegsschiff. Sieh mich an, Chessa!«
Sie lächelte, nahm sein Gesicht in beide Hände und küßte seine Narbe. Ihre Lippen waren zart und weich. Tief in seinem Innern entbrannte ein wilder Aufruhr. Er wußte nicht, ob er sie wegstoßen, oder sie solange küssen sollte, bis sie beide außer Atem waren. Dann flüsterte sie: »Du hast Ragnor angegriffen für das, was er mir angetan hat. Zeig mir den Mann, der das verbrochen hat, und ich bring' ihn um.«
Er blickte sie verdutzt und ungläubig an. Dann sagte er heiser: »Es war kein Mann.«
»Eine Frau hat dir das angetan?«
»Ja.«
»Zum Glück bist du am Leben und hier bei mir.«
»Nicht mehr lange, Chessa. Sobald deine Monatsblutung einsetzt, müssen wir nach Rouen segeln.«
Sie schwieg und hielt immer noch ihre Arme um ihn geschlungen. Die Sonne brannte heiß vom Himmel. Austernfischer flogen dicht über die gelbbraunen Gerstenfelder. Ein Schnepfenschwarm flatterte auf. Seemöwen kreischten über ihren Köpfen.
»Du klingst, als wäre dir gar nicht viel daran gelegen, daß ich Wilhelm heirate. Du hältst mich im Arm. Willst du mich etwa heiraten?«
»Nein«, antwortete er. »Das will ich nicht.« Sie hob ihm ihr Gesicht entgegen, er küßte sie auf den Mund. Wie weich, wie hingebungsvoll sie war. Er zwang sich zur Beherrschung. Er hätte sie nicht berühren, schon gar nicht küssen dürfen, als habe er ein Recht auf sie. »Nein«, stieß er hervor und riß sich von ihr los. »Nein, ich will dich nicht. Ich will nie wieder im Leben eine Frau; keine Geliebte, keine Ehefrau. Ich habe Kiri und bemühe mich, sie zu einer aufrechten, starken Frau zu erziehen. Ich sorge dafür, daß sie die Männer nicht mit List und Tücke an der Nase herumführt.«
Sie stand keuchend vor ihm. Sein Blick wurde magnetisch von ihren wogenden Brüsten angezogen, er sehnte sich verzweifelt danach, ihre pralle Fülle zu umfangen, ihre Knospen zu küssen. »Geh weg, Chessa. Wenn du nicht gehst, gehe ich. Ich weiß nicht, welches Spiel du treibst. Alle Frauen treiben Spiele, um Männer an ihrer Angel zappeln zu lassen. Aber mich kümmert das nicht. Du bekommst bald deine Monatsblutung und dann bin ich vor dir sicher. Und du vor dir selbst! Du wirst mich sehen, wie ich wirklich bin. Du wirst meine Häßlichkeit erkennen. Du wirst Wilhelm heiraten.«
Damit drehte er sich um und eilte im Laufschritt ins Haus zurück.
»Er will mich«, trällerte sie dem Windrädchen zu, das sich schnurrend über ihrem Kopf drehte. »Ja, er will mich.«
Mirana wandte sich an Chessa: »Kiri wollte
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