Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Falken - Schlucht

Der Herr der Falken - Schlucht

Titel: Der Herr der Falken - Schlucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
Vom Netzwerk:
gemacht. »Cleve, erzähle uns von dem Mann, der deine Mutter heiratete, nachdem dein Vater gestorben war.«
    Cleve zuckte unwillkürlich zusammen. »Er heißt Varrick. Am lebhaftesten erinnere ich mich an die Kälte. Selbst wenn ich neben dem Herd in eine Decke gewickelt lag, war mir kalt. Allen im Haus war kalt. Er war es, der die Kälte verbreitete. Ich denke, er ist trotz seiner dunklen Haare ein weißer Heide wie du, Merrik. Meine Mutter war eine Dalriadaschottin. Ich sehe mich als kleiner Junge vor ihm stehen und angstvoll zu ihm aufblicken - er war ein Riese für mich. Und ich wußte, daß er mich haßte, weil mein älterer Bruder und ich die Erben von Kinloch waren. Er wollte unseren Tod. Ich wußte, daß er uns töten würde, es war nur eine Frage der Zeit. Ich hatte furchtbare Angst vor ihm. Er schlug mich nie. Er schaute nur voller Verachtung und gleichgültig auf mich herab. Er war groß und sehr hager. Ich habe ihn einmal nackt im Badehaus gesehen. Er war jung, nicht älter als ich jetzt. Sein Haar war dunkel, und sein Gesicht war so kalt. Er behandelte alle in seiner Umgebung mit dieser Kälte, auch meine Mutter und meine Schwestern, besonders aber meinen älteren Bruder. Jeder hatte Angst vor ihm, warum weiß ich nicht. Oft hob er mich hoch, so daß sein Gesicht in der Höhe meines Gesichts war. Er schüttelte mich, und ich wäre vor Angst beinahe gestorben. Doch dann lächelte er, und ich bekam noch mehr Angst vor ihm. Ich erinnere mich, daß er mir sagte, ich gehöre ihm ganz allein. Das habe ich nie vergessen.
    Eines Nachts kam er von draußen herein. Es wütete gerade ein schlimmer Sturm. Er war wie immer schwarz gekleidet, und sein Gesicht war mit seltsamen blauen Zeichen bemalt. Niemand sprach ein Wort. Ich erinnere mich noch genau an diese Kälte, die von ihm ausging.
    Ich erinnere mich auch, daß er Schmutz haßte und kein Blut sehen konnte. Wenn die Männer von der Jagd zurückkamen, durften sie ihm erst unter die Augen treten, wenn sie sich gewaschen und frische Kleider angezogen hatten. Er ekelte sich vor Fleisch, auch daran erinnere ich mich deutlich. Meine Mutter setzte ihm einmal versehentlich gebratenes Hirschfleisch vor. Da stellte er den Teller für die Hunde auf den Boden, sah sie kalt an und sagte, das werde sie bereuen.
    Seltsam, früher war das Haus voller Lachen, Geschrei und Gezänk von Männern, Frauen und Kindern.« Cleve seufzte. »Aber ich war noch so klein. Vielleicht habe ich nur geträumt, daß vor seiner Zeit alles anders war. Ich erinnere mich, daß sich meine Mutter eines Nachts an mein Bett setzte, mich in die Arme nahm und sagte, eines Tages sei mein Bruder Herr auf Kinloch, und er werde mich beschützen. Sie muß gewußt haben, daß Varrick mich und meinen Bruder beiseite schaffen würde.«
    Laren beugte sich vor, ihr rotes Haar glänzte im Schein des Lagerfeuers. »Du hast uns erzählt, daß deine Mutter starb. Hat dieser Varrick sie getötet?«
    »Ich weiß nicht. Sie starb, kurz bevor ich verschleppt wurde. Als ich wieder denken konnte, quälten mich immer wieder die Fragen: Warum ich? Warum nicht mein Bruder? Er war doch der Erbe von Kinloch. Aber ich wurde niedergeschlagen, für tot gehalten und liegengelassen. Dann wurde ich gefunden und gesundgepflegt und in die Sklaverei verkauft.« Er machte eine Pause. »Seht euch Loch Ness an. Wie düster und schwarz der See ist. Das liegt am Moorwasser. Selbst bei strahlender Sonne kann man nicht weit unter den Wasserspiegel sehen. Der See soll unendlich tief sein, und jeder, der ins Wasser fällt, ist rettungslos verloren. Es soll viele Höhlen in Ufernähe geben. Dorthin werden die Leichen der Ertrunkenen von der Strömung dann gespült, und das Ungeheuer holt sie sich dann und verschlingt sie.«
    »An all das erinnerst du dich?« fragte Merrik, nachdem er den letzten Bissen Hirschfleisch hinuntergeschluckt hatte. »Laren, das Essen war köstlich.«
    Cleve grinste. »Nein, ich habe heute mit ein paar alten Männern geredet. Erst vor kurzem ist ein Fischer im See verschwunden. Man hat gar nicht erst nach ihm gesucht, da man wußte, daß es keine Hoffnung gab, seine Leiche zu bergen. Niemand wagt sich nach Sonnenuntergang auf den See.«
    »Der Mann, von dem du erzählst«, sagte Laren, »könnte dieser Herr der Finsternis, der Lord des Bösen sein, von dem die Leute heute auf dem Markt sprachen. Auch er trägt schwarz und wandert im Sturm durch die Gegend und malt sich das Gesicht blau an. Weißt du, welche Zeichen er im

Weitere Kostenlose Bücher