Der Herr der Falken - Schlucht
Heft aus Bronze, mit Silber und Rubinen eingelegt, die er selbst vor drei Sommern von einem Goldschmied in der kleinen Handelsstadt Radovia südlich von Kiew hatte einfügen lassen.
Merrik schaute zu Eller hinüber. »Riecht deine Nase schon etwas? Wir sind ziemlich dicht unter Land. Ich kann nicht viel durch den Nebel erkennen. Ein sommerlicher Morgennebel, der vermutlich den ganzen Tag anhalten wird. Ein seltsames Land. Ein Land voller Geheimnisse. Chessa hat vermutlich recht. Unsere Reise verspricht abenteuerlich zu werden.«
Eller tippte sich seitlich an die Nase, schüttelte den Kopf, und seine Hand blieb locker auf dem Steuerruder liegen. Er hatte seine Sache bisher gut gemacht, zum Glück hatte er viel vom alten Firren gelernt, der im letzten Winter gestorben war.
»Hoffentlich bekommt Eller keinen Schnupfen, Onkel Merrik«, sagte Kiri.
»Das ist schon mal passiert«, entgegnete Merrik. »Mitten in der Ostsee auf der Heimfahrt von Birka. Seine Nase war verstopft, und er konnte nichts riechen. Damals wären wir beinahe in Schwierigkeiten geraten.«
»Inverness!« rief Eller herüber.
Die Fahrt von der Habichtsinsel hatte nur acht Tage gedauert, dank des guten Wetters und der stetigen westlichen Winde. Es hatte nur einen Regenschauer gegeben, der aber rasch wieder abgezogen war.
Die Besatzung bestand aus dreißig Mann, allesamt tapfere, furchtlose Krieger, die mit der Streitaxt und dem Schwert umzugehen wußten. Sie hatten Handelswaren mitgebracht, um sie in Inverness zu verkaufen. Abgesehen davon, Cleve zu seinen Geburtsrechten zu verhelfen, erhoffte Merrik sich auch einen guten Profit von dieser Reise.
Die Handelsstadt Inverness war kleiner, bäuerlicher als York und seine Befestigungswälle weniger mächtig als die von York, Hedeby oder Kaupang. Die Gehwege waren nicht mit Holzplanken belegt. Und da es hier häufig regnete, waren die Straßen meist aufgeweicht, und man versank bis zu den Knöcheln im Schlick und Matsch. Das Land erinnerte ihn mit seinem saftigen Grün an Irland. Der Nebel hing wie dünnes Spinnwebengespinst in den Bäumen und über den Felsen. Gegen Mittag lichtete sich der Dunst, ohne sich freilich völlig aufzulösen.
Der Silberrabe und das begleitende Handelsboot wurden an einer der äußeren Molen neben einem Handelsschiff aus Dublin vertäut. Daneben lag ein Boot von den nördlichen Orkney-Inseln und ein drittes von den Shetland-Inseln.
Die halbe Mannschaft blieb an Bord. Cleve trug Kiri auf dem Arm, Chessa ging an seiner Seite, und so betraten die drei die kleine Stadt. Ebenerdige Holzhäuser standen dichtgedrängt. Es gab Geschäfte, in denen Pelzwerk, Schmuck, Schuhe, Schwerter und Äxte, Pfeil und Bogen verkauft wurden. An Holzbuden wurden Fische, Obst und Gemüse feilgeboten. In den Gassen herrschte lärmende Geschäftigkeit, Männer und Frauen priesen lauthals ihre Waren an, feilschten und fluchten oder rieben sich lachend die Hände.
»Wohin gehen wir, Papa?« fragte Kiri, die das rege Treiben bestaunte.
»Wir suchen eine Badehütte, weil wir alle drei völlig verdreckt sind. Ich möchte, daß du wieder nach Honig duftest, damit ich dich küssen kann, ohne die Nase zu rümpfen.«
Cleve überließ sie und Chessa der Obhut einer alten Frau in einem strohgedeckten Badehaus, in dem brütende Hitze herrschte. In der Mitte des Raumes stand ein großer Holzzuber, der festgestampfte Lehmboden war mit Matten belegt. Chessa kam sich vor wie in Walhall.
Zwei Stunden später holte Cleve sie wieder ab. Auch er war inzwischen frisch gebadet und ging an der Spitze eines guten Dutzends Männer aus Malverne. Er brachte neue Kleider und für Chessa zwei schöne Silberspangen mit gehämmerten Distelornamenten, wie sie nur auf den Shetland-Inseln gefertigt wurden, mit. Er streifte ihr auch einen goldenen Ring von den Orkneys über, der aus fünf ineinander geflochtenen Goldschnüren bestand. Chessa hatte von ihrem Vater in Dublin schönen Schmuck geschenkt bekommen, Armreife, Ringe, Broschen. Doch dieser Ring war das Schönste, was sie je an Goldschmiedekunst gesehen hatte. Sie kam aus dem Staunen nicht heraus. Stürmisch fiel sie Cleve um den Hals und bedankte sich überschwenglich. »So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen. Du bist wunderbar Cleve, der beste Mann der Welt...« Die Männer hinter ihm traten verlegen von einem Fuß auf den anderen. Da senkte sie sittsam den Blick und sagte leise, doch laut genug, damit jeder sie hören konnte: »Und du bist der wunderbarste
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