Der Herr der Habichts - Insel
dir.«
Mirana schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts erreicht. Ich weiß nicht, ob das der Grund war, daß Rorik so früh geredet hat, noch bevor er den guten Haferbrei probiert hat. Ich komme nicht dahinter. Vielleicht hast du recht.«
Utta und Asta gingen. Asta drehte sich noch einmal um: »Ich berichte dir später, was die Frauen meinen. Amma ist sehr wütend, aber sie muß sich beruhigen, damit wir beschließen können, was das Beste für uns ist.«
Mirana saß auf der Bettkante, hatte das Kleid wieder angezogen und flickte den Umhang, als Rorik eintrat.
»Utta sagte mir, daß sie deinen Rücken mit Salbe behandelt hat.«
»Ja«, antwortete Mirana, den Kopf auf die Näharbeit gesenkt.
»Sie sagte, die Haut ist nicht geplatzt.«
»Wenn sie das sagt.«
»Sie sagte, ich dürfe es niemand erzählen, weil du dich schämst.«
Mirana schwieg. Er wußte also nicht, daß auch Asta bei ihr war. Warum hatte die Kleine ihm das verschwiegen? Um sie zu beschützen nahm sie an, ohne den Grund zu verstehen.
Dann kam ihr die Erleuchtung. Sie hatten Utta zu ihm geschickt. Sie wollten Schuldgefühle in ihm wecken, und dazu eignete sich niemand besser als ein zwölfjähriges Mädchen. Sie biß sich auf die Lippen, um nicht zu lächeln.
»Ich habe dir nicht weh getan und nicht fest zugeschlagen.«
Bei diesen Worten hob sie den Kopf. Mit sanfter Stimme sagte sie: »Hätte ich mein Messer bei mir, würde ich dir zeigen, wie ich dich abstechen kann, ohne dir wehzutun. Schulde ich dir Dank, Rorik? Soll ich dir die Hände küssen, weil du mich vor deinen Leuten ausgespeitscht hast? Weil du mir gezeigt hast, wer der Stärkere ist? Weil du mich gedemütigt hast? Ausgezeichnet, Rorik, daß du mich auch noch zur Erde geworden hast. Ich zweifle nicht daran, daß du deinen Männern auch das noch vorführen mußtest. Dieser Auftritt war sehr wichtig für dich.«
Er dachte nicht daran, ihr zuzustimmen. Mit fester Stimme entgegnete er: »Es war deine eigene Schuld. Du hättest nur deinen verdammten Hochmut lassen und die Worte sagen müssen, denn ich bin >dein Herr<. Mehr wäre nicht nötig gewesen, und ich wäre nicht gezwungen gewesen, dich auszupeitschen. Es ist deine Schuld, nicht meine.«
Ob er das wirklich glaubte? Ihre Schuld? Zugegeben, Einar peitschte Frauen, ohrfeigte sie oder schlug sie mit Fäusten, wenn es ihm gefiel, auch bei der kleinsten Herausforderung. Er schlug auch Männer, die schwächer waren als er, insbesondere Sklaven, Männer wie Frauen, wann immer ihm der Sinn danach stand. Er hatte sie mehrmals ausgepeitscht. Beim letzten Mal mußte er sie an den Pfahl binden, weil sie sich gewehrt hatte. Er hatte ihr die Peitsche mit sichtlichem Vergnügen über den Rücken gezogen, bis die Haut geplatzt war. Nachdem er müde geworden war, hatte er zufrieden gesagt: »Das wird dir eine Lehre sein, andere zu beschützen. Du solltest mir dankbar dafür sein. Aber ich weiß, du bist es nicht. Und ich will dich nicht töten. Das würde meinen Männern nicht gefallen. Nur die Götter wissen, warum sie dich verteidigen.«
Mirana erinnerte sich genau an den jungen Mann. Eigentlich war er noch ein Knabe, der Einars Mißfallen erregt hatte. Sie wußte nicht mehr warum. Es konnte nichts wirklich Schlimmes gewesen sein. Sie hatte die Partei des Jungen
ergriffen und ihn versteckt. Das hatte Einars Zorn herausgefordert. Er hatte sie ausgepeitscht. Als sie zähneknirschend auf dem Bauch lag und gegen die Wundschmerzen ankämpfte, hatte sie erfahren, daß der Junge gestorben war. Einar hatte sich später ihren nackten Rücken mit den häßlichen, blutigen Striemen angesehen und gemeint: »Wie schade.«
Sie wußte nicht, ob er ihren zerschundenen Rücken oder den toten Jungen meinte.
»Woran denkst du? Du bist so schweigsam. Das gefällt mir nicht, denn deine Gedanken sind gefährlich.«
Sie zuckte die Schultern. »Schlechte Erinnerungen, weiter nichts.«
»Mehr nicht?«
»Na gut. Ich erinnere mich an den ersten Tag auf deinem Boot, als du mir den Fuß in den Nacken gesetzt hast, und ich dir in den Knöchel biß. Du hast aufgejault wie ein Köter, so weh hat es getan. Ich konnte die Spuren meiner Zähne noch zwei Tage danach sehen.«
»Ja, du hast fest zugebissen«, sagte Rorik, der allerdings mehr vor Schreck aufgeschrien hatte. Sie hatte nichts von ihrem Zorn und Haß seither verloren. Damals hatte er ihr das Gesicht auf die Planken gedrückt und sie mit dem Fuß festgehalten. Sie war vor Wut rot angelaufen. »Warum ist das
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