Der Herr der Habichts - Insel
ertragen.
Sie wartete darauf, daß Rorik etwas unternahm, etwas sagte, um dieser Ungerechtigkeit ein Ende zu bereiten, doch er schwieg wie seine Eltern.
Entti kam mit einem Lächeln auf sie zu. »Ich habe die Bärenkeule gehäutet, den Hasenbraten gewürzt und die Barsche ausnehmen lassen. Wir werden ein Faß Bier öffnen. Ein wenig Rheinwein ist auch noch da. Es gibt Gemüse, gedünstete Zwiebeln und Pilze, Kohl und Rüben.
Utta hat Schwarzbeeren in Met eingelegt. Wir haben frisches Brot gebacken. Es wird köstlich zum Ziegenkäse schmecken . . .«
Das war zuviel. Mirana legte ihre Hand auf Enttis Arm. »Danke, Entti. Du bist sehr lieb, aber das nützt auch nichts mehr.«
Entti fluchte leise. »Gurd hat es ihnen erzählt. Er ist wütend auf dich, weil er meint, du hinderst ihn daran, mich zu beschlafen. Die ganze Zeit brummte er, er sei ein Mann, du nur ein dummes Weibsbild und ich eine Sklavin.«
Mirana schwieg. Sie beobachtete Rorik, der sich von ihr abgewandt hatte und leise auf seine Eltern einredete. Sein jüngerer Bruder war zu ihnen getreten. Sira stand abseits, einen hölzernen Becher Met in der Hand.
Die Alte Alna trat zu Mirana und sagte: »Wir werden in Kürze das Mahl auftragen. Herr Rorik wird seinen Stuhl seinem Vater überlassen. Dann . . .«
»Macht alles so, wie es immer gemacht wurde«, sagte Mirana. »Ich setze mich neben meinen Gemahl.« Wenn er seine Meinung geändert hatte, würde sie es bald wissen.
Sie ging in die Schlafkammer und zog das Gewand und den Umhang an, die sie tags zuvor zur Hochzeit getragen hatte. Es war das einzige Festgewand, das sie besaß. Sie gürtete sich, kämmte ihr Haar und befestigte die schönen Spangen, die Rorik ihr geschenkt hatte. Sie zwickte sich in die Wangen, um etwas frische Röte hineinzuzaubern, und betrat die große Halle.
Es roch nach den Seebarschen, die in gefettete Ahornblätter gewickelt über dem Feuer schmorten. Die Bärenkeule brutzelte auf einem Drahtgestell über der Glut. Der frische Ziegenkäse roch scharf.
Die Männer sprachen dem Bier tüchtig zu. Die Frauen tranken etwas zurückhaltender, denn ihnen oblag es, das Mahl aufzutragen. Rorik saß neben seinem Vater. Sira saß an seiner anderen Seite und neben ihr seine Mutter Tora, deren eisige Miene Mirana Unbehagen einflößte. Die Alte Alna hatte Mirana gesagt, sie habe große Ähnlichkeit mit Tora, was sie nun keineswegs bestätigt fand. Die übrigen Plätze an der Tafel waren von seinem Bruder und Haralds Männern besetzt. Außer Sira und Tora saß keine andere Frau am Tisch. Roriks Männer saßen beieinander, getrennt von Haralds Leuten. Rorik hatte seinem Vater und seinen Gefolgsleuten die besten Plätze im Langhaus zugewiesen. Mirana lächelte den Sklavinnen und den Frauen zu, die das Mahl auftrugen. Sie nahm ein Brett mit gebratenem Hammel und Lauchgemüse und trat zu Rorik.
»Nimm, Herr«, sagte sie.
Er mußte sie ansehen, auch wenn er es nicht wollte. Sie sah solchen Schmerz in seinen Augen, daß sie beinahe laut aufgestöhnt hätte. Doch sie sagte ganz ruhig: »Nimm ein Stück gebratenen Hammel. Entti hat ihn zubereitet.«
»Ja«, meinte er ohne Ausdruck in der Stimme oder im Blick. »Es sieht köstlich aus.«
Sie legte ihm schweigend vor, wandte sich dann an seinen Vater. »Herr Harald«, und hielt ihm die Platte hin.
Ohne sie zu beachten, wandte Harald sich von ihr ab und sprach mit überlauter Stimme zu Merrik: »Dränge mich nicht, Sohn. Bald segelst du nach Kiew, das verspreche ich dir.«
Sira sagte vernehmlich und sehr spitz: »Steh nicht so herum, lege mir vor.«
Mirana blickte auf das Mädchen und dann auf ihr Handgelenk, an dem blaue Flecken sichtbar waren.
»Was ist? Verstehst du mich nicht? Bist du schwachsinnig? Gib mir zu essen.«
»Von meinem Gemahl habe ich gelernt«, entgegnete Mirana mit lauter Stimme, daß alle sie hören konnten, »auf Grobheiten eine einfache und klare Antwort zu geben.«
Damit kippte sie das Tablett mit Braten und Gemüse über Siras Kopf, machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Langhaus, ohne auf das Kreischen und Wutgeheul hinter sich zu achten. Sie glaubte Ammas Lachen zu hören. Kerzog bellte laut, und sie stellte sich vor, wie der große Hund den Bratensaft von Siras Gesicht leckte.
Bei dieser Vorstellung huschte ein Lächeln über ihre Lippen.
Kapitel 18
Es war kalt geworden, der Himmel hatte sich verdunkelt, und schwarze Wolken als Vorboten eines gewaltigen Gewittersturms brauten sich zusammen. Der Wind schlug
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