Der Herr der Habichts - Insel
haben.«
Die Alte Alna warf ihr einen Seitenblick zu, spuckte gezielt in einen Eibenbusch und tätschelte Miranas Arm. »Nach Ingas Tod hoffte sie, Rorik zu heiraten. Ich glaube sogar, sie ist zu ihm ins Bett gekrochen, doch sein Kummer war so groß, daß er sie weggeschickt hat. Zweifle nicht an ihm, Mirana. Jetzt hat er dich.«
»Ja«, meinte Mirana gedehnt. »Jetzt hat er mich.« Sie setzte sich in Bewegung und ging den Pfad zum Meer hinunter, um ihre neuen Verwandten zu begrüßen. Die Alte Alna blickte ihr aus wäßrigen Augen nach.
Rorik hob jetzt das Mädchen hoch, wirbelte sie herum und gab ihr einen Kuß mitten auf ihren lachenden Mund. Mirana setzte ihren Weg unbeirrt fort, doch sie kam sich vor wie eine Außenseiterin. Das Lächeln, das ihren Mund umspielte, erreichte ihre Augen nicht.
Mirana betrat die Scheune, die sich ans Langhaus schloß. Dort lagerte genügend Heu für sechs Kühe, zwei Ochsen, zwei Pferde und drei Ziegen. Pflugschare lehnten an den Wänden. Daneben hingen Äxte, Hacken und andere Gerätschaften, um Holz zu hacken und die Äcker zu bestellen. Sie hatte sich hierher geflüchtet, um allein zu sein.
»Du bist also jetzt mit Rorik verheiratet.«
Mirana hob den Kopf. Sira stand vor ihr. Ihr helles Gesicht, von blondem Haar umspielt, war so schön, daß es schmerzte, sie anzusehen. Sie war allein. Sie mußte ihr gefolgt sein. »Ja, wir haben gestern geheiratet.«
»Ich weiß. Mich drängte es, dieses Jahr früher hierher zu kommen. Dann wurde Roriks Mutter krank . . .« Sie zuckte mit den Achseln; ihre Augen funkelten vor Zorn. Sie musterte Mirana von oben bis unten, und ihre Wut flaute ein wenig ab. »Du siehst aus wie eine fremdländische Sklavin. Ich finde dunkelhaarige Frauen gewöhnlich, sie sehen irgendwie ungewaschen aus.«
Mirana verließ die Scheune, doch Sira blieb ihr auf den Fersen. »Ich freue mich über den Besuch von Roriks Familie. Ihr scheint freundliche Menschen zu sein.«
Sira packte plötzlich Miranas Handgelenk und riß sie grob zu sich herum. Sie verfügte über eine Kraft, die Mirana ihr nicht zugetraut hätte. Miranas Gesicht war dem ihrem ganz nah. Sie war so verdutzt über den plötzlichen Angriff des Mädchens, daß sie keinen Widerstand leistete.
»Hör gut zu, Schlampe, du hast es irgendwie geschafft, Rorik rumzukriegen. Du bist gewöhnlich und dreckig und hast die Beine breit gemacht für ihn, und jetzt trägst du sein Kind, und er glaubte, dich heiraten zu müssen. Aber bald wird er erkennen, was du für eine bist. Er wird begreifen, daß seine Eltern dich verachten, weil alle wissen, wo du herkommst und wessen Blut in deinen Adern fließt. Und er wird dich fortjagen. Seine Eltern wollen Glück und Frieden für Rorik, aber sie können Inga und die Kinder nicht vergessen. Und auch Rorik kann sie nicht vergessen. Erst wenn der Schuft tot ist, der sie abgeschlachtet hat, wird Roriks Familie Ruhe finden.
Sie wünschten mich als Schwiegertochter und hätten dich dennoch akzeptiert. Doch seit sie erfuhren, wer du
bist, du schwarzhaarige Hexe, in deren Adern das Blut unserem Todfeindes fließt, hassen sie dich. Denn sie fragen sich, ob du von den Untaten deines Bruders gewußt hast. Sie werden nicht eher ruhen, bis du zu deinem Bruder zurückgekehrt bist.«
Ihr Gesicht kam noch näher, ihr Atem schlug heiß und süß in Miranas Gesicht. »Vielleicht bringt Rorik dich um. Vielleicht bringe ich dich um. Bald werden wir von dir befreit sein, Hexe, sehr bald. Dann gehört Rorik mir, wie es sein soll.«
Sira stieß Mirana von sich, machte auf dem Absatz kehrt und ging zurück zum Langhaus.
Mirana rieb sich das Handgelenk. Nachdenklich ging auch sie zum Haus zurück. Es war ihre Aufgabe, sich um die Bewirtung der Gäste zu kümmern. Beim Betreten des Raumes schlug ihr Feindseligkeit entgegen. Kälte und Ablehnung hatten Wohlwollen und Güte auf den Gesichtern der Anwesenden vertrieben.
Roriks Bruder Merrik, der Heißsporn, wie die Alte Alna ihn genannt hatte, sah aus, als wolle er sich gleich auf sie stürzen. Er unterbrach sein Gespräch mit Gurd und blickte ihr haßerfüllt entgegen. Seine Hand spannte sich um den Griff des Messers, das in seinem Gürtel steckte. Roriks Eltern, Harald und Tora, unterbrachen bei Miranas Erscheinen das Gespräch mit Rorik. Das Gesicht der Mutter erstarrte zu einer Maske aus Eis. Haralds stolzes Gesicht, das Roriks so sehr glich, war ohne jeden Ausdruck. Er senkte die blauen Augen, als könne er ihren Anblick nicht
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