Der Herr der Habichts - Insel
dem Waffenschmied, und hatte eine Hand auf seine Schulter gelegt. Gurd schien nicht zu begreifen, daß seine Frau gestorben war. Bisher hatte er kein Wort gesprochen. Nun fiel er auf die Knie — nein, er weinte nicht — sein Gesicht war ausdruckslos, als er laut zu den Göttern betete, daß sie seine Asta über die Brücke der Sterblichen in den Himmel geleiteten.
Mirana spürte Roriks Hand unter ihrem Ellbogen. Sie schwankte, glaubte jeden Augenblick den Boden unter den Füßen zu verlieren. Doch sie hatte darauf bestanden, an dem Begräbnis teilzunehmen. Das war sie Asta schuldig.
Bevor die Gebete zu den Göttern für Astas letzte Reise verklungen waren, führte Rorik sie zurück ins Langhaus.
Kapitel 21
Schweigend brachte Rorik sie in die Schlafkammer, legte sie sanft aufs Bett, zog ihr die Wolldecke bis zum Kinn und setzte sich neben sie.
»Du wolltest wieder fliehen«, sagte er unvermittelt. »Mit Entti.«
»Nein.«
»Lüg mich nicht an. Merrik sagte es mir und auch meine Mutter. Sira behauptete, du hättest es zwar versprochen, aber einer Lügnerin wie dir glaubt ohnehin keiner.«
»Nein.«
Seufzend wandte er sich ab und verschränkte die Hände zwischen den Knien. Sie betrachtete sein Profil, seine klaren Linien, seine hagere Kieferpartie, die goldenen Locken, die sich im Nacken kringelten. Er war ein herrlicher Mann, jung und kraftvoll, mächtig, vor Gesundheit und Lebenskraft strotzend. Doch auch er würde altern, und seine Kräfte würden schwinden. Dennoch würde er ein Mann bleiben, den man bewundern und achten konnte, ein starker, ein verläßlicher Mann. In ihr keimte eine rätselhaft wehmütige Empfindung, die ihr fremd war, auf. Rorik war ihr Mann. Aber sie wußte, daß es keine Hoffnung für sie beide gab. Niemals. Er litt Qualen, er wurde von seinem Leid zerfressen. Noch war er ihr Gemahl, zumindest heute noch, vielleicht auch noch morgen. Und danach? Sie schüttelte wehmütig den Kopf.
»Ich will nicht, daß du mich anlügst.«
Und weil Rorik ihr Mann war, sagte sie mit fester Stimme: »Nun gut. Du magst es ruhig wissen. Ja, ich habe versprochen, die Insel zu verlassen. Ich möchte nicht sterben, Rorik. Es ist besser so. Ich kehre nicht zu meinem Bruder zurück . . .«
»Deinem Halbbruder.«
Sie lächelte. »Meinem Halbbruder. Nein, ich gehe woanders hin.«
Nun blickte er sie mit kalten, blauen Augen streng an. Tonlos sagte er: »Du gehst nirgendwo hin. Ich will nicht, daß du gehst. Du bist meine Frau, und du gehörst zu mir. Du bleibst meine Frau, solange ich es wünsche, und du tust, was ich dir sage.«
»Und wenn ich dir sage, daß ich dich nicht länger zum Mann haben will?«
»Das tut nichts zur Sache. Und außerdem stimmt es nicht. Ich dulde solche Worte nicht. Spare deine Kräfte.«
Sie verstand seine Beweggründe nicht. »Hör zu, Rorik. Du haßt mich. Du willst mich nicht hier haben, weil ich dich daran erinnere, was mein Bruder deiner Frau und deinen Kindern angetan hat. Meine Gegenwart weckt die Erinnerung an das Grauen, bringt dir Gewissensbisse, weil du sie nicht retten konntest. Einar hätte dein Gehöft nicht überfallen, wenn du da gewesen wärst. Er ist kein Narr. Warum er diese feigen Morde begangen hat, weiß ich nicht. Aber er hat es getan, daran ist nichts zu ändern. Deine Familie hat dir die Augen geöffnet, daß ich nicht die richtige Frau für dich bin. Davon sind sie fest überzeugt. Sk. werden nicht zulassen, daß ich bleibe, Rorik.«
Er stand auf und begann, auf und ab zu wandern.
Sie fuhr fort: »Ich kann ihnen ihren Haß gegen mich nicht verdenken, auch wenn ich finde, sie sollten die Vergangenheit ruhen lassen, damit die Wunden heilen können. Aber ihre Bitterkeit steht in ihren Gesichtern geschrieben und ist aus ihren Reden zu hören. Ich will nicht, daß sie dich unglücklich machen.«
Nun drehte er sich zu ihr um und sagte mit schroffer, leiser Stimme. »Ja, ich habe auf sie gehört. Ich ließ mich beeinflussen. Sie sind schließlich meine Verwandten. Sie lieben mich, und sie liebten Inga und die Kinder.«
»Ich weiß«, sagte sie.
»Dann bist du krank geworden. Ich hätte dich niemals getötet, Mirana, niemals. Ich erwarte nicht, daß du mir glaubst. Aber ich habe erkannt, daß ich ein Narr war und daß gerade du mir geholfen hast, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Nicht vergessen, nein, aber mich von ihr zu entfernen und den Schmerz zu lindern. Und dann kamen sie, und es war, als würde die Wunde wieder aufbrechen. Und plötzlich war
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