Der Herr der Habichts - Insel
Haar.
Wieder sprach er mit einer Stimme, die so kalt war wie das Eismeer: »Du gehst nicht. Du entscheidest nicht über meine Wünsche. Du hörst auf, mir zu sagen, was ich dir oder meiner Familie gegenüber zu empfinden habe. Du bleibst hier, Mirana. Du wirst mir gehorchen.«
Sie sah ihn schweigend an. Dann wandte sie den Kopf. Er hatte aufrichtig gesprochen. Sie würde tun, was er von ihr verlangte, zumindest vorübergehend.
»Du vertraust mir nicht«, sagte er, und das erstaunte sie, denn sie vertraute ihm gewiß mehr als er ihr. »Nein, schüttle nicht den Kopf. Ich kenne dich nicht gut, aber ich verstehe etwas von Vertrauen.
Jetzt ruhst du, bis du wieder bei Kräften bist. Du bleibst hier. Entti steht unter meinen Schutz, damit du sie nicht als Vorwand für deine Flucht nehmen kannst. Ihre Ehre wird nicht mehr angetastet.«
Damit verließ er die Kammer. Der Nachmittag verstrich sehr langsam. Viel zu langsam.
Die nächsten zwei Tage schlief und aß sie. Rorik verbrachte weniger Zeit bei ihr, als wisse er, daß sie mit ihren Gedanken allein sein mußte. Andererseits freute sie sich, wenn er sich zu ihr setzte und seine Hand auf ihre Stirn legte. Sie sah seinen Mund gern, wenn er redete. Nachts lag er neben ihr und atmete tief und gleichmäßig. Doch tagsüber blieb er meist fern.
Mit seiner Mutter war es anders.
Am nächsten Morgen brachte Tora ihr eine Schale Haferbrei mit Honig.
»Ob das deinem Magen bekommt?«
Mirana lief der Speichel im Mund zusammen. Der Duft nach Haferbrei und Honig erfüllte die Kammer. Sie richtete sich auf und schaute hungrig auf die Schale. »Oh ja«, antwortete sie. Dann bemerkte sie Toras Blick. Mit ungeduldiger und kalter Stimme sagte Tora: »Es war sonst niemand da, um dir Essen zu bringen. Da nimm.«
»Danke.«
Die Frau setzte sich ans Fußende des Bettes und sah ihr schweigend beim Essen zu. Mirana leerte die Schale, seufzte tief und sank ins Kissen zurück. »Das hat wunderbar geschmeckt.«
»Die kleine Utta hat ihn für dich gekocht. Sie sagte, du magst es, wie sie den Haferbrei würzt.«
Mirana nickte. Würde Tora sie wieder bitten, die Insel zu verlassen?
»Sira hat eingewilligt, Hafter zu nehmen. Er ist ein guter Mann. Außerdem sieht er Rorik ähnlich. Das scheint mir ein Grund für ihre Einwilligung zu sein. Sie werden bald heiraten, und dann geht sie mit ihm aufs Festland.«
Mirana schwieg.
»Ich dachte, du solltest das wissen.«
»Ich danke dir.«
»Rorik will morgen mit dir ins Badehaus gehen. Er besteht darauf. Er meinte, nur er weiß, wie heiß du dein Badewasser willst und wie kalt deine Dusche.«
Sie konnte sich jetzt nicht mehr zurückhalten. »Ich dachte, du willst, daß Sira Rorik heiratet.«
»Rorik sagte, er will sie nicht haben, und daß er sie niemals heiraten wird. Der Fall ist damit erledigt.«
Damit ging Tora.
Am nächsten Morgen brachte Rorik sie wirklich ins Badehaus. Sie wär noch sehr schwach. Seine Fürsorge machte sie noch hilfloser, und sie befand sich in einem Zustand, den sie haßte. Er wusch sie sorgsam. Seine großen eingeseiften Hände strichen über ihren Rücken, ihre Hinterbacken. Er mußte sie stützen, sonst hätte sie das Gleichgewicht verloren, als er sie zwischen den Schenkeln wusch. Am Ende der Prozedur wünschte sie, er würde unfreundlich zu ihr sein, damit sie wütend auf ihn sein konnte. Doch unbeirrt wusch er ihr die Füße, spülte die
Seife mit warmem Wasser ab und erfrischte sie mit einem Guß kalten Wassers. Dann wickelte er sie in warme Tücher und trug sie in seine Schlafkammer.
Er rieb ihr das Haar trocken, kämmte sie und ging.
Fünf Minuten später war er wieder da und stapfte herein wie ein Krieger, die Stirn wild in Falten gelegt. Zorn blitzte aus seinen Augen. Seine Kiefer mahlten. Die Muskelstränge an seinem Hals traten hervor. Miranas Stimmung hellte sich auf.
»Das war dein Werk«, sagte er.
»Was war mein Werk?« Ihre Stimme klang streitlustig. Das tat ihr gut. Seine Fürsorge hatte sie zu sehr verwirrt. Sie langweilte sich und hatte seine ausdauernde Güte satt. Jetzt hatte sie also aufgehört, ein hilfloses Kind für ihn zu sein.
»Hafter sagte mir gerade, er will Sira nicht heiraten.«
»Und warum nicht?« fragte sie verdattert.
»Er sagte nur, er will sie nicht. Das ist alles.«
»Das ist aber merkwürdig, Rorik.«
Er holte tief Luft und brüllte sie an: »Verflucht nochmal, Mirana. Du weißt genau, was er will! Er will Entti. Ich bin nicht blind und nicht blöde. Hafter ist für
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