Der Herr der Habichts - Insel
Herrin auf Clontarf.«
Mirana war zu müde, um Sira aufzuklären. Sie würde früh genug herausfinden, daß Einar das Alter aus seinem Gesicht und seinem Körper wegzauberte und seine Jugend durch Tränke und Salben künstlich erhielt. Vielleicht bewohnte das Böse aber auch gern einen schönen Körper, um weniger aufzufallen. Schweigend zog sie ihre schmutzigen Sachen aus und begann sich zu waschen.
Die Nacht war bereits hereingebrochen, als Mirana den großen Saal von Clontarf betrat. Sie trug ein dunkelgrünes Leinengewand und darüber einen hellgrünen Umhang, der an den Schultern von zwei gehämmerten Silberspangen gehalten wurde. Ihr Haar glänzte wieder und fiel ihr fließend über die Schultern.
»Du siehst sehr schön aus. Als ich dich wiedersah, glaubte ich schon, du hättest deine Schönheit für immer verloren.«
Einar hielt ihr lächelnd die Hand entgegen. »Komm, Schwesterherz, setz dich. Die Frauen haben dein Leibgericht zubereitet. Hasenbraten mit Pilzen, dazu Wildäpfel mit Nüssen und Preiselbeeren. Komm zu mir.«
Sie setzte sich mit einem heiteren Lächeln zu ihm. »Wie du wünschst.« Sie mußte mit ihm sprechen und ihn davon überzeugen, daß es falsch wäre, sie an den König zu verkaufen. Doch vorher mußte sie seine Stimmung ausloten. Deshalb wollte sie warten, bis er das Thema selbst anschnitt.
Nun betrat Sira den Saal, die schöner aussah als eine Prinzessin aus der Sage. Sie trug ein Gewand von Mirana, das ihr ein wenig zu kurz war. Das hellrosa Wolltuch ließ ihr blondes Haar wie einen Silberhelm aufleuchten. Sie blickte wie eine Königin, die ihren Hofstaat inspiziert, im Saal herum. Als sie sah, wie Ingolf sich erhob, ging sie rasch in Einars Richtung, der den Blick nicht von ihr ließ.
Mit einem scheuen Lächeln trat sie zu ihm: »Ich bin entzückt von deiner Gastfreundschaft, Herr Einar. Darf ich neben dir sitzen?«
Er hob eine Augenbraue. »Du bist jetzt eine Sklavin«, wandte er ein. »Und du bist eine Verwandte von Rorik Haraldsson.«
»Allerdings haben mich deine Männer entführt. Aber sehe ich aus wie eine Sklavin, Herr?«
Mirana beobachtete, wie Einars Augen prüfend über Siras Figur wanderten. Seine beiden Geliebten saßen am anderen Ende der Tafel und hielten die Köpfe gesenkt.
Einar zuckte mit den Schultern. »Setz dich, Sira.«
Sklavinnen legten ihr vor. Einar versetzte einem kleinen Mädchen ohne ersichtlichen Grund einen groben Rippenstoß. Mirana schluckte ihren Unmut hinunter. Sie durfte nicht mit ihm streiten. Schweigend aß sie und hörte zu.
Die Gespräche waren laut, derb und scherzend. Männer waren doch überall gleich, dachte sie und blickte in den verrauchten Saal. Die Frauen saßen getrennt von den Männern. Auch sie tranken, unterhielten sich aber leiser und kicherten nur gelegentlich. Die Kinder waren längst zu Bett gebracht worden.
Gunleik saß bei seinen Männern und aß schweigend. Mirana mußte mit ihm sprechen. Nachdem Gunleik niedergeschlagen worden war, hatte Ingolf den Befehl über das Boot übernommen. Erst als der Sturm einsetzte, mußte Ingolf sich Gunleiks Anweisungen beugen, wenn das Boot nicht kentern und die aufgewühlte See alle Insassen in die Tiefe reißen sollte. Sie wollte ihn später aufsuchen, wenn alle schliefen.
Einar war nach dem ausgedehnten Mahl, im Gegensatz zu seinen Männern, noch ziemlich nüchtern. Ingolf trat auf seinen Herrn zu und sprach mit schwerer Zunge: »Ich komme, um die Frau zu holen, Herr. Ich habe sie entführt. Ich will sie haben. Ich nehme sie mit auf mein Lager.«
Einar schenkte seinem Gefolgsmann kaum Beachtung.
»Ich will sie haben«, schnaubte Ingolf noch einmal mit vorgeschobenem Unterkiefer.
»Vielleicht will auch ich sie haben«, meinte Einar gedehnt. »Sie zieht mich gewiß deiner häßlichen Visage vor, Ingolf. Bestehst du immer noch auf deinem Anliegen?«
Ingolf begann zu lachen. Der Met hatte ihm nicht nur mehr Widerspruchsgeist gegeben, als klug war, sondern auch seine Zunge gelockert. »Ich habe dich mit deiner neuen Sklavin gesehen, Herr. Sie ist ja ausgesprochen hübsch.« Er lachte lauter. Einar blickte ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue fragend an. Ingolf lallte: »Nein, du willst Sira gar nicht«, sagte er wieder. Seine Trunkenheit ließ ihn vergessen, wie gefährlich und unberechenbar sein Herr war. Er deutete mit einem wackeligen Finger auf ein schönes, sehr junges Mädchen, das alleine saß, und er lachte und lachte.
Es war sein letztes Lachen. In einer einzigen
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