Der Herr der Lüfte
rings um mich abspielte, und war dankbar für die ruhige, ermutigende Präsenz von Leutnant Michael Jagger, der mich zu meinem Sitz geleitete und neben mir Platz nahm.
Leutnant Jagger hatte in Croydon eine Zeitung erworben und reichte sie mir nun. Ich nahm sie dankbar entgegen. Die Größe und Art der Zeitung war ungewohnt, ebenso wie ein Teil der Abkürzungen, doch ich begriff den Inhalt der meisten Artikel. Dies war die erste Zeitung, die ich seit meiner Ankunft im Jahre 1973 zu sehen bekam. Ich hatte zehn Minuten Zeit, sie zu überfliegen, ehe wir in London ankamen. In dieser Zeit erfuhr ich von einem neuen Vertrag, den alle Großmächte unterzeichnet hatten, welcher für viele Waren gemeinsame Preise festschrieb (wie sehr hätten die Vertreter der Freien Wirtschaft das verabscheut!) und verschiedene grundlegende Gesetze vereinbarte, die für die Bürger aller Unterzeichnerstaaten nun gültig waren. In Zukunft wäre es nicht mehr möglich, so erklärte die Zeitung, daß ein Krimineller in Taiwan ein Verbrechen beging und über das Meer beispielsweise in die Japanische Mandschurei oder nach Britisch-Kanton floh. Das Gesetz war offensichtlich von allen Großmächten einstimmig angenommen worden, Anstoß dazu hatte die zunehmende Zahl von Gesetzesverstößen durch Gruppen von Nihilisten, Anarchisten oder Sozialisten gegeben, welche, wie mich die Zeitschrift belehrte, nur die Zerstörung um ihrer selbst willen zum Ziele hatten. Es waren noch einige andere Nachrichten zu lesen, von denen ein Teil unverständlich, andere unbedeutend waren. Doch ich überflog alle Hinweise auf Nihilisten, denn sie standen in gewissem Zusammenhang zu meinem Erlebnis am ersten Tag im Krankenhaus in Katmandu. Nach Auffassung der Zeitung erschienen diese Akte von Gewalttätigkeit völlig sinnlos in einer Welt, die sich unaufhaltsam zu Frieden, Ordnung und Gerechtigkeit für jedermann hinentwickelte. Was konnten diese Verrückten im Sinn haben? Bei einigen handelte es sich natürlich um irgendwelche Nationalisten, die die Unabhängigkeit für ihre Region forderten, lange ehe sie dafür vorbereitet war. Doch die übrigen - was wollten sie? Wie ist es möglich, Utopia zu verbessern? fragte ich mich voller Zweifel.
Und dann waren wir am Victoria Station angekommen, der im wesentlichen noch als der Viktorianische Bahnhof erhalten war, wie ich ihn aus dem Jahre 1902 kannte.
Als wir aus dem Zug stiegen und auf den Ausgang zugingen, sah ich, daß die Stadt, obwohl es Nacht war, in allen Lichtern erstrahlte.
Elektrische Beleuchtungen in allen vorstellbaren Farben und Farbzusammenstellungen strahlten von jedem schmalen Turm und von jeder runden Kuppel. Hell erleuchtete Rampen trugen motorisierten Verkehr auf vielen Ebenen um diese Türme und wanden sich hinauf und herab, als würden sie nur von der Luft getragen!
In diesem London gab es keine häßlichen Plakatwände, keine erleuchteten Reklameschriften und keine geschmacklosen Slogans, und als wir in den Dampf-Brougham kletterten und eine der Rampen hinauffuhren, stellte ich fest, daß es auch nicht mehr die schäbigen Slums gab, die ich vom London 1902 vielerorts kannte. Die Armut war niedergerungen! Krankheiten ausgerottet! Gewiß war Not völlig unbekannt!
Ich hoffe, es ist mir gelungen, ein wenig von dem Hochgefühl zu vermitteln, das ich bei meiner ersten Begegnung mit dem London des Jahres 1973 empfand. Es besteht nicht der geringste Zweifel an seiner Schönheit, seiner Sauberkeit und seinen wunderbar geordneten Annehmlichkeiten für die Bürger. Zweifellos waren alle Menschen wohlgenährt, fröhlich, gut gekleidet und alles in allem überaus zufrieden mit ihrem Schicksal. Während des nächsten Tages führte mich ein Dr. Peters in London herum in der Hoffnung, ein vertrauter Anblick könnte mein Gehirn aus seinem Schlaf erwecken. Ich spielte das Spiel mit, denn es gab nicht viel anderes, das ich hätte tun können. Letztendlich, dessen war ich mir im klaren, würden sie aufgeben. Dann wäre ich frei, mir einen Beruf auszusuchen - vielleicht ginge ich wieder zur Armee, denn schließlich war ich das Soldatenleben gewohnt. Doch bis dahin war ich ein Mann ohne Ziel, und ich konnte genauso gut tun, was die anderen von mir erwarteten. Wo ich auch hinkam, erstaunte mich die Veränderung, die mit dieser einstmals schmutzigen, nebelverhangenen Stadt vor sich gegangen war. Nebel gehörte der Vergangenheit an, die Luft war sauber und frisch. Bäume, Sträucher und Blumen blühten überall, wo nur
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