Der Herr der Lüfte
Kombüse herrschte Chaos. Stewarts in weißen Jacken, Matrosen in Nachtblau, Männer im Abendanzug und Mädchen in kurzen Kleidern drängten sich und zerrten an einem Mann in den allzu bekannten Khakishorts und dem grünen Hemd der jungen Rauhreiter. Am Rande dieses Auflaufs standen ein paar verängstigte Pfadfinder. Dann erblickte ich Reagans Gesicht. Er hielt mit den Händen seine Fahnenstange umklammert und schlug damit nach jedem, der ihn packen wollte. Sein Blick war starr, sein Gesicht puterrot angelaufen, und er ähnelte einem albernen Gemälde von Custer beim Sieg am Little Big Horn. Er schrie zusammenhangloses Zeug, und ich verstand nur ein einziges, abscheuliches Wort:
»Nigger! Nigger! Nigger!«
An der Seite unterhielten sich die indischen Verwaltungsbeamten mit dem jungen Offizier, der mich gerufen hatte.
»Was hat das alles zu bedeuten, Muir?« wollte ich wissen.
Muir schüttelte den Kopf. »Soweit ich das mitbekommen habe, hat dieser Herr« (er wies auf den Beamten) »gefragt, ob er sich von Hauptmann Reagans Tisch das Salz ausleihen könnte. Daraufhin hat Mr. Reagan ihn geschlagen und sich dann auf die mit ihm befreundeten Herren gestürzt…«
Nun sah ich, daß sich auf der Stirn des Inders ein rotes Mal abzeichnete.
Ich riß mich so gut ich konnte zusammen und rief: »So, Herrschaften, nun ist es aber gut. Laßt ihn los! Würden Sie bitte zurücktreten? Zurücktreten, bitte!«
Dankbar wichen Passagiere und Mannschaftsmitglieder von Reagan zurück, der keuchend und mit irrem Blick, offensichtlich völlig außer sich, dastand. Plötzlich sprang er auf den nächsten Tisch und duckte sich mit seiner Stange in Angriffsstellung.
Ich bemühte mich, vernünftig mit ihm zu reden eingedenk der Tatsache, daß es meine Pflicht war, sowohl den guten Namen der Schiffsgesellschaft wie den Ruf meiner Einheit zu schützen und Mr. Reagan keine Gelegenheit zu geben, jemanden zu verklagen oder seine politischen Verbindungen zu nutzen, um jemandem zu schaden. Es war schwer, all dies nicht zu vergessen, insbesondere weil ich den Kerl so sehr haßte. Ich gab mir alle Mühe, ihm gegenüber Mitleid aufzubringen, ihn zu besänftigen. »Es ist nun vorbei, Hauptmann Reagan. Wenn Sie sich bei dem Gentleman entschuldigen, den Sie geschlagen haben…«
» Ich mich entschuldigen? Bei solchem Abschaum?« Mit einem Knurren schwang Reagan seine Stange gegen mich. Ich packte sie und riß ihn vom Tisch. Wenn ich ihn schlagen mußte, um ihn zu beruhigen, so konnte man mir dies nicht zum Vorwurf machen. Aber es war, als sei seine Verrücktheit ansteckend.
Reagan schob mir sein wutverzerrtes Gesicht entgegen und knurrte: »Her mit meiner Stange, Sie gottverdammter niggerschwuler britischer Waschlappen!«
Das war zuviel für mich.
Ich kann mich wirklich nicht mehr erinnern, wie ich den ersten Schlag geführt habe. Ich weiß nur noch, daß ich immer und immer wieder zuschlug und schließlich zurückgezerrt wurde. Ich erinnere mich an den Anblick seines übel zugerichteten, blutenden Gesichts. Ich weiß noch, daß ich irgend etwas darüber gebrüllt habe, was er den Kapitän angetan hatte. Ich weiß noch, daß ich seine Stange in Händen hielt und immer wieder auf ihn eindrosch, dann rissen mich mehrere Matrosen zurück, und plötzlich war alles ganz still, erschreckend still, und Reagan lag zerschunden, blutig und reglos am Boden, vielleicht war er tot.
Ich drehte mich benommen um und sah die entsetzten Gesichter der Pfadfinder, Passagiere und Mannschaftsmitglieder.
Ich sah, wie der Zweite Offizier, der nun das Kommando hatte, herbeigeilt kam. Ich sah, wie er Reagan betrachtete und fragte: »Ist er tot?«
»Müßte er eigentlich sein«, antwortete jemand. »Aber er lebt noch.«
Der Zweite Offizier kam zu mir, Mitleid stand in seinem Gesicht. »Bastable, Sie armer Teufel«, sagte er. »Das hätten Sie nicht tun dürfen, alter Bursche. Ich fürchte, jetzt werden Sie allerhand Schwierigkeiten bekommen.«
Natürlich wurde ich vom Dienst suspendiert, sowie wir in Sydney landeten und beim örtlichen SLP.-Hauptquartier gemeldet. Keiner reagierte verständnislos, insbesondere, nachdem man die gesamte Geschichte von den anderen Offizieren der Loch Etive gehört hatte. Doch Reagan hatte seine Darstellung bereits an die Abendzeitungen weitergegeben. Das Schlimmste geschah. AMERIKANISCHER TOURIST VON POLIZEIOFFIZIER BRUTAL MISSHANDELT hieß es im Sydney Herald , und die meisten Berichte waren übelste Sensationsmache und standen auf den
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