Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Lüfte

Der Herr der Lüfte

Titel: Der Herr der Lüfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
Vom Netzwerk:
nun völlig gescheitert. Nun war ich ein schlimmerer Außenseiter als bei meiner ersten Ankunft. Ich hatte meine Uniform entehrt und mich jenseits der Grenzen des Erlaubten gestellt.
    Schlimmer war jedoch, daß der euphorische Traum sich allmählich in einen irrsinnigen Alptraum verkehrte. Ich zog meine Uhr heraus. Es war erst drei Uhr nachmittags. Das konnte keiner als Abend interpretieren. Ich war mir nicht sicher, welchen Empfang man mir im Club bereiten würde. Ich war dort natürlich Mitglied, aber es war sehr gut möglich, daß man mir dort meinen Austritt nahelegte, nachdem ich bei der SLP meinen Abschied genommen hatte. Das konnte ich niemandem verargen. Schließlich brachte ich vielleicht die übrigen Mitglieder in Verlegenheit. Ich würde meinen Besuch dort bis zum letztmöglichen Augenblick hinausschieben. Ich klopfte gegen das Dach und sagte dem Fahrer, er sollte mich beim nächsten Fußgängerzugang aussteigen lassen, kletterte heraus, zahlte meine Gebühr und begann, ziellos unter den Arkaden und zwischen den schlanken Säulen umherzuschlendern, welche die Verkehrsrampen trugen. Ich begaffte den Überfluß exotischer Waren in den Schaufenstern; Waren aus allen Ecken des Empire, die mich an Gegenden erinnerten, die ich wahrscheinlich nie mehr wiedersehen würde. Auf der Suche nach einer Ablenkung ging ich in ein Kino und sah mir einen Musikfilm an, der im 16. Jahrhundert spielte und in dem ein amerikanischer Filmschauspieler namens Humphrey Bogart Sir Francis Drake darstellte und eine Schwedin (soviel ich weiß Bogarts Frau) namens Greta Garbo die Königin Elizabeth. Merkwürdigerweise ist das eine meiner klarsten Erinnerungen an jenen Tag.
    Gegen sieben Uhr kehrte ich dann zum Club zurück, schlüpfte unbemerkt in den angenehmen Dämmerschein der Bar die mit Dutzenden von Luftschifferinnerungen ausgestattet war. Ein paar Burschen saßen schwatzend an den Tischen, aber glücklicherweise erkannte mich keiner. Ich bestellte einen Whisky-Soda und stürzte ihn ziemlich schnell hinunter. Ich hatte noch ein paar davon getrunken, als jemand mich auf den Arm tippte und ich mich sogleich umdrehte in der Erwartung, daß man mich zum Gehen aufforderte.
    Statt dessen sah ich mich dem fröhlichen Grinsen eines jungen Mannes gegenüber, der, wie ich inzwischen wußte, nach der Manier der wildesten Erstsemester von Oxford gekleidet war. Das schwarze Haar trug er ziemlich lang und scheitellos zurückgekämmt. Er hatte tatsächlich einen Gehrock mit Samtrevers an, eine scharlachrote Krawatte, eine Brokatweste und Hosen, die an den Oberschenkeln eng geschnitten waren, unterhalb des Knies jedoch sehr weit wurden. Im Jahre 1902 wäre diese Aufmachung der der sogenannten Ästheten ziemlich nahegekommen. Es war ganz offensichtlich bohémien- und dandyhaft, und ich stand Leuten in solchen »Uniformen« mit gewissem Mißtrauen gegenüber. Sie waren ganz und gar nicht mein Fall. So unbeachtet wie ich geblieben war, zog der junge Mann den mißbilligenden Blick aller auf sich. Es war mir außerordentlich peinlich.
    Er schien die Reaktion, die er im Club hervorgerufen hatte, nicht zu bemerken. Er nahm meine schlaffe Hand und schüttelte sie herzlich. »Sie sind Bruder Oswald, nicht wahr?«
    »Ich bin Oswald Bastable«, stimmte ich zu, »aber ich glaube nicht, daß ich der bin, den Sie suchen. Ich habe keinen Bruder.«
    Er stützte seine Hand in die Hüfte und lächelte. »Woher wollen Sie das wissen? Ich meine, Sie leiden doch an Gedächtnisverlust, oder?«
    »Nun, ja…« Es war völlig richtig, daß ich kaum behaupten konnte, mein Gedächtnis verloren zu haben, und andererseits leugnete, daß ich einen Bruder hatte. Ich hatte mich selbst in eine aberwitzige Situation gebracht. »Warum haben Sie sich denn nicht früher gemeldet?« gab ich zurück. »Als das ganze Zeug von mir in den Zeitungen stand?«
    Er rieb sich das Kinn und sah mich spöttisch an. »Ich war im Ausland zu jener Zeit«, sagte er. »Um genau zu sein, in China. Da ist man ein bißchen abgeschnitten von hier.«
    »Schauen Sie«, sagte ich ungeduldig, »Sie wissen verdammt gut, daß Sie nicht mein Bruder sind. Ich weiß nicht, was Sie wollen, aber es wäre mir lieber, wenn Sie mich in Ruhe ließen!«
    Wieder grinste er. »Sie haben ganz recht. Ich bin nicht Ihr Bruder. Ich heiße Dempsey - Cornelius Dempsey. Ich dachte, ich gebe mich als Ihr Bruder aus, um Ihre Neugier anzustacheln und sicher zu sein, daß Sie auch kommen. Aber trotzdem…« - und wieder sah er mich

Weitere Kostenlose Bücher