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Der Herr der Lüfte

Der Herr der Lüfte

Titel: Der Herr der Lüfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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lassen. Sollen sie Krankheiten, Angst und Tod nur noch ein bißchen besser kennenlernen lassen - so werden sie sich erheben! Eine Woge…« Shaw stand im Türrahmen. Er war mit einem weißen Leinenanzug bekleidet und einem Panamahut. Er rauchte eine Zigarre. »Eine Woge der Menschlichkeit wird die Ungerechtigkeit hinwegtragen, was, Wladimir Iljitsch?« Er lächelte. »Aber wie immer bin ich andrer Meinung als Sie.«
    Der alte Russe schaute auf und drohte mit dem Finger. »Du solltest nicht mit so einem alten Mann wie mir streiten, Shuo Ho Ti. Das ist nicht die Art der Chinesen. Du solltest meine Worte respektieren.« Er lächelte zurück.
    »Was meinen Sie, Mr. Bastable?« fragte Shaw mich scherzhaft. »Bringt Verzweiflung die Revolution hervor?«
    »Ich verstehe nichts von Revolutionen«, erwiderte ich. »Allerdings neige ich zu der Auffassung, daß in der Tat ein paar Reformen an der Zeit wären - in Rußland vor allem.«
    Uljanow lachte. »Ein paar Reformen! Ha! Genau das wollte Kerenski. Aber die Reformen gingen über Bord, sobald es opportun erschien, sie zu vergessen. Mit den ›Reformen‹ ist es stets das Gleiche, das System muß sterben!«
    »Aus der Hoffnung, nicht aus der Verzweiflung, Mr. Bastable, erwachsen Revolutionen«, erklärte Shaw. »Geben Sie dem Volk Hoffnung , zeigen sie den Menschen, was machbar ist, was sie erwarten dürfen - dann sind sie vielleicht in der Lage, etwas zu bewirken. Verzweiflung gebiert nur größere Verzweiflung - die Menschen verlieren den Mut und sterben innerlich ab. In diesem Punkt irrt sich Genosse Uljanow und jene, die ihm folgen. Sie glauben, daß die Menschen sich erheben, wenn ihr Unbehagen unerträglich wird. Aber das stimmt nicht. Wenn ihr Unbehagen völlig unerträglich wird - dann geben sie auf . Ihr Widerstand zerbricht! Sie unterwerfen sich! Bieten Sie ihnen hingegen etwas zusätzliche Bequemlichkeit - und als typisch menschliches Verhalten werden sie mehr verlangen - und mehr und mehr! Dann kommt die Revolution! So bemühen wir von der Stadt des Sonnenaufgangs uns, unter die chinesischen Tagelöhner Wohlstand zu tragen. Wir arbeiten, um in China ein Beispiel zu schaffen, das die Unterdrückten der ganzen Welt ermutigt.«
    Uljanow schüttelte den Kopf. »Bronstein hegte dererlei Gedanken - aber seht, was aus ihm geworden ist!«
    »Bronstein? Ihr alter Feind.«
    »Er war einmal mein Freund«, antwortete Uljanow plötzlich traurig. Er erhob sich mit einem Seufzen. »Und doch sind wir hier alle Genossen, auch wenn unsere Methoden sich unterscheiden mögen.« Er warf mir einen langen, harten Blick zu. »Glauben Sie nicht, wir seien gespalten, weil wir miteinander streiten, Mr. Bastable.«
    Und doch hatte ich genau das gedacht.
    »Sehen Sie, wir sind alle Menschen«, fuhr Uljanow fort. »Wir haben fantastische Träume. Aber das menschliche Denken ist in der Lage, zu planen, die Wirklichkeit zu gestalten. Zum Nutzen oder zum Schaden. Zum Nutzen oder zum Schaden.«
    »Vielleicht zum Nutzen und zum Schaden«, sagte ich.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Jede Medaille hat ihre Kehrseite. Jeder Traum von Vollkommenheit trägt seinen Alptraum von Unvollkommenheit in sich.«
    Uljanow lächelte zögernd. »Deshalb sollten wir vielleicht keine Vollkommenheit anstreben, was? Weil Vollkommenheit sich selbst ebenso vernichtet wie uns?«
    »Vollkommenheit und Abstraktionen«, sagte ich. »Es gibt kleine Akte von Gerechtigkeit genauso wie große, Wladimir Iljitsch Uljanow.«
    »Sie meinen, wir Revolutionäre legten unsere Menschlichkeit ab, um Fantastereien und Utopien nachzujagen?«
    »Sie vielleicht nicht…«
    »Sie haben hier das ewige Problem des überzeugten Anhängers einer jeden Weltanschauung angesprochen. Mr. Bastable. Dafür wird es niemals eine Lösung geben.«
    »Ich urteile nach meiner persönlichen Erfahrung«, sagte ich. »Für menschliche Probleme wird es niemals eine Patentlösung geben. Wahrscheinlich werden Sie diese Philosophie ›britischen Pragmatismus‹ nennen. Dann nehmen Sie es, wie's kommt…«
    »Die Briten nehmen es gewiß so hin«, lachte Dutschke. »Sie werden mir sicher recht geben, daß es ein besonderes Vergnügen ist, nach Alternativen zu suchen und zu sehen, ob sie funktionieren und besser sind.«
    »Es muß zu dieser Welt eine bessere Alternative geben«, sprach Uljanow gefühlvoll. »Es muß sie geben!«
    Shaw war gekommen, um uns zu einem Rundgang durch die Stadt abzuholen. Wir vier - Kapitän Korzenowski, der sich inzwischen völlig erholt

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