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Der Herr der Lüfte

Der Herr der Lüfte

Titel: Der Herr der Lüfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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hatte, so daß nicht einmal eine Narbe auf seiner Stirn zu sehen war, Una Persson, Graf von Dutschke und ich - folgten Shaw aus dem Apartmenthaus eine breite, sonnenbeschienene Straße hinunter.
    In der Stadt des Sonnenaufgangs lernte ich nach wie vor sehr viel Neues. Revolutionäre waren für mich immer nur verbohrte Nihilisten gewesen, die Gebäude in die Luft sprengten, Leute umbrachten und keinerlei Vorstellung besaßen, was sie auf den Ruinen der Welt, die sie zerstörten, erbauen wollten. Und hier war ihr Traum Wirklichkeit geworden!
    Aber war es nicht eine etwas unechte Realität? fragte ich mich. Konnte man sie über die ganze Welt ausbreiten?
    Anfänglich, nachdem ich in die Welt der Jahre 1970 geschleudert worden war, hatte ich geglaubt, Utopia gefunden zu haben. Und nun stellte ich fest, daß es nur für einige wenige Utopia war. Shaw strebte ein Utopia an, das für alle seine Gültigkeit hatte.
    Ich erinnerte mich an das Blut, das ich auf der Brücke der Rover verspritzt gesehen hatte. Barrys Blut. Es war schwer, dieses Bild mit dem, was ich hier vor mir hatte, in Einklang zu bringen.
    Shaw schleppte uns zur Besichtigung von Schulen, Gemeinderestaurants, Werkstätten, Laboratorien, Theatern, Ateliers, die alle voll waren mit glücklichen, ausgeglichenen Menschen hunderter verschiedener Nationalitäten, Rassen und Überzeugungen. Ich war beeindruckt.
    »So könnte der gesamte Osten - und Afrika - aussehen, wäre da nicht die Raffgier der Europäer gewesen«, erklärte mir Shaw. »Inzwischen könnten wir wirtschaftlich stärker sein als Europa. Das wäre ein wirkliches Gleichgewicht der Stärke. Dann würden Sie sehen, was es mit der Gerechtigkeit auf sich hat!«
    »Aber Sie verfolgen hier ein europäisches Ideal«, gab ich ihm zu bedenken. »Hätten wir nicht…«
    »Wir wären selbst auch darauf gekommen. Die Menschen lernen durch Beispiele, Mr. Bastable. Es ist nicht nötig, ihnen Meinungen aufzuzwingen.«
    Wir hatten eine abgedunkelte Halle betreten. Vor uns befand sich eine breite Projektionsleinwand. Shaw bat uns, Platz zu nehmen, dann kam flackernd Leben auf die Leinwand.
    Wie gebannt vor Entsetzen sah ich zu, wie Dutzende von chinesischen Männern und Frauen enthauptet wurden.
    »Das Dorf Shihnan in der japanischen Mandschurei«, erklärte Shaw mit harter, ausdrucksloser Stimme. »Es war den Dorfbewohnern nicht gelungen, das jährliche Soll an Reis zu produzieren, also wurden sie bestraft. Das geschah im vergangenen Jahr.«
    Ich sah japanische Soldaten lachen, als ihre Schwerter immer wieder niedersausten und die Köpfe rollten.
    Ich war wie betäubt. »Aber das sind die Japaner…«, war alles, was ich sagen konnte.
    Eine neue Bildsequenz. Kulis bei der Arbeit an einer Eisenbahnstrecke. Uniformierte Männer trieben sie mit Peitschenhieben an, härter zu arbeiten. Es handelte sich um russische Uniformen.
    »Jeder weiß, wie grausam die Russen die von ihnen unterworfenen Völker behandeln…«
    Shaw nahm keine Stellung dazu.
    Eine Gruppe von Chinesen - viele davon Frauen und Kinder -, mit Sicheln und Dreschflegeln bewaffnet, stürmte auf eine Steinmauer zu. Die Leute waren in Lumpen gekleidet und halb verhungert. Hinter der Mauer wurde das Feuer aus Maschinengewehren eröffnet, die Menschen fielen zuckend, blutend und vor Todesschmerz schreiend zu Boden. Ich konnte kaum hinsehen. Das Maschinengewehrfeuer verstummte erst, als alle Leute tot waren.
    Männer in braunen Uniformen und mit breitrandigen Hüten tauchten hinter der Mauer auf, gingen zwischen den Leichen umher und versicherten sich, daß auch keiner mehr am Leben war.
    »Amerikaner!«
    »Um fair zu sein«, erklärte General Shaw mit tonloser Stimme, »muß man dazu sagen, daß sie auf Bitten der siamesischen Regierung handelten. Diese Szene spielte sich ein paar Kilometer vor Bangkok ab. Amerikanische Truppen helfen der Regierung, die Ordnung aufrecht zu erhalten. In jüngerer Zeit gab es in einigen Teile Siams ein paar kleinere Aufstände.«
    Das nächste Bild zeigte eine indische Siedlung. Soweit das Auge blicken konnte, standen Betonbaracken in säuberlichen Reihen.
    »Die Siedlung ist leer«, sagte ich.
    »Warten Sie ab!«
    Die Kamera führte uns durch die verlassenen Straßen bis vor die Siedlung. Hier standen Soldaten in den roten Uniformen Großbritanniens. Sie schwangen Spaten und schaufelten Leichen in kalkgefüllte Gruben.
    »Cholera?«
    »Es herrschte dort Cholera, ebenso wie Typhus, Malaria und Pocken, aber nicht daran ist das

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