Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
wühlte eine lederumhüllte Flasche aus seinem Rucksack. »Nur ein Schluck für jeden – für uns alle. Etwas sehr Kostbares. Miruvor, der Stärkungstrank aus Imladris; Elrond hat ihn mir zum Abschied mitgegeben. Lasst ihn herumgehen!«
Sobald Frodo ein wenig von dem warmen und wohlriechenden Trank geschluckt hatte, fühlte er, wie sich sein Mut wieder regte und die schwere Mattigkeit aus seinen Gliedern wich. Auch die anderen lebten auf und schöpften wieder Kraft und Hoffnung. Aber das Schneetreiben ließ nicht nach. Dichter als zuvor wirbelten die Flocken um sie her, und der Wind heulte noch lauter.
»Was hältst du jetzt von einem Feuer?«, fragte Boromir. »Die Wahl zwischen Feuer und Tod ist nun wohl nicht mehr fern, Gandalf. Gewiss, wenn uns der Schnee erst zudeckt, sind wir allen unfreundlichen Blicken entzogen, aber helfen wird uns das nicht.«
»Mach nur ein Feuer, wenn du kannst!«, sagte Gandalf. »Wenn hier noch Späher sind, die ein solches Unwetter ertragen können, dann sehen sie uns, ob mit oder ohne Feuer.«
Aber obwohl sie auf Boromirs Anraten außer großen Scheiten auch Kleinholz mitgenommen hatten, war keine Elben- oder Zwergenkunst imstande, eine Flamme zu schlagen, die dem wirbelnden Wind standhielt und auf das nasse Holz übersprang. Schließlich legte Gandalf widerwillig selbst Hand an. Er nahm ein Reisigbündel, hielt es einen Moment hoch, sprach die gebieterischen Worte: naur an edraith ammen! und stieß die Spitze seines Stabs mitten hinein. Sofort sprang eine grüne und blaue Stichflamme hoch auf, und das Holz fing knisternd Feuer.
»Wenn jemand da ist und das gesehen hat, dann weiß er jetzt, mit wem er’s zu tun hat«, sagte er. »Das ist so gut, wie wenn ich groß Gandalf ist hier an die Felswand geschrieben hätte, in Lettern, die von Bruchtal bis zu den Anduin-Mündungen jeder lesen kann.«
Aber inzwischen kümmerten sie sich nicht mehr um Späher oderunfreundliche Augen. Von Herzen freuten sich alle über den Schein des Feuers. Das Holz prasselte fröhlich, und obwohl die Schneeflocken zischend hineinfielen und sich Matschpfützen unter ihren Füßen sammelten, wärmten sie sich erleichtert die Hände über den Flammen. So standen sie im Kreis über das kleine züngelnde Feuer gebückt. Ein roter Schein lag auf ihren müden, angespannten Gesichtern, und hinter ihnen stand die Nacht wie eine schwarze Mauer.
Aber das Holz verbrannte schnell, und es schneite noch immer.
Das Feuer brannte herunter, und sie warfen das letzte Bündel Holz drauf.
»Die Nacht neigt sich dem Ende«, sagte Aragorn. »Es wird bald dämmern.«
»Wenn das Dämmerlicht durch diese Wolken überhaupt durchkommt«, sagte Gimli.
Boromir trat aus dem Kreis und schaute hinauf in die Finsternis. »Der Schneefall lässt nach«, sagte er, »und der Wind auch.«
Frodo betrachtete müde die Flocken, die immer noch aus der Dunkelheit herabfielen und für einen Augenblick im Schein des erlöschenden Feuers weiß aufleuchteten; aber noch lange konnte er kein Anzeichen dafür erkennen, dass sie weniger dicht fielen. Dann plötzlich, als ihn der Schlaf schon wieder beschleichen wollte, bemerkte er, dass der Wind tatsächlich nachgelassen hatte und dass die Flocken, die noch fielen, größer und vereinzelter waren. Ganz allmählich kam ein trübes Licht auf, und endlich schneite es nicht mehr.
Als das Licht zunahm, zeigte es eine stumme, dick verhüllte Welt. Unterhalb ihrer Zuflucht sahen sie weiße Buckel, Mulden und formlose Wehen, unter denen der Pfad, den sie heraufgekommen waren, nicht mehr zu erkennen war; doch die Höhen über ihnen waren in dicken Wolken verborgen, in denen drohend weitere Schneemassen hingen.
Gimli blickte hinauf und schüttelte den Kopf. »Caradhras hat uns nicht verziehen«, sagte er. »Er kann noch mehr Schnee auf unsschütten, wenn wir weitergehn. Je eher wir umkehren und wieder absteigen, desto besser.«
Alle stimmten ihm zu, aber der Rückzug war nicht so einfach. Er konnte sich sogar als unmöglich erweisen. Nur wenige Schritt von der Asche ihres Feuers lag der Schnee etliche Fuß hoch, höher als die Köpfe der Hobbits; an manchen Stellen hatte ihn der Wind in hohen Verwehungen gegen die Felswand gehäuft.
»Ginge Gandalf mit einer tüchtigen Flamme voran, so schmölze er euch vielleicht einen Weg frei«, sagte Legolas. Ihm hatte das Unwetter nur wenig ausgemacht, und darum hatte er als Einziger die gute Laune bewahrt.
»Flögen Elben über die Berge, so würden sie uns
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