Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
seiner dunklen, schaumfleckigen Wassermassen. Fast vor ihren Füßen stürzte er brausend über den Rand des Felsens in den Abgrund hinunter, der links von ihnen gähnte. Dort, dicht an der Felskante, stand ein Mann und spähte hinunter.
Frodo schaute dem Wasser zu, wie es geschmeidig den Hals bog und in die Tiefe sprang; dann hob er den Blick und schaute in die Ferne. Die Welt war kalt und still, wie wenn der Morgen nicht mehr fern ist. Weit im Westen, rund und weiß, stand der Vollmond, im Begriff, unterzugehen. In dem weiten Tal, über das sie hinaussahen, schimmerten bleiche Nebel, eine breite Decke von silbrigem Dunst, unter denen die nachtkühlen Fluten des Anduin strömten. Dahinter ragte ein tiefes Schwarz in die Dunkelheit, und darin blinkten hier und da, kalt, scharf und fern, weiß wie Gespensterzähne, die mit ewigem Schnee bedeckten Gipfel der Ered Nimrais, der Weißen Berge im Reiche Gondor.
Eine Weile stand Frodo so auf dem hohen Felssockel, und mit Schaudern dachte er daran, dass irgendwo in der Weite der nächtlichen Lande vielleicht seine alten Gefährten schliefen oder umherwanderten, wenn sie nicht tot unterm weißen Tuch des Nebels lagen. Warum hatte man ihn aus dem vergessenstiefen Schlaf geweckt und hierher geführt?
Auf dieselbe Frage hätte auch Sam sich eine Antwort gewünscht und konnte sich ein leises Murren nicht verkneifen. »Schöne Aussicht, ja, Herr Frodo«, sagte er, als er glaubte, dass nur Frodo ihn hörte, »aber nicht gerade wärmend fürs Herz, von den Gliedern gar nicht zu reden. Was ist denn los?«
Faramir hatte ihn gehört und antwortete. »Der Mond geht unter über Gondor. Der schöne Ithil wirft einen Blick auf die weißen Locken des alten Mindolluin, bevor er aus Mittelerde entschwindet. Der Anblick lohnt schon ein Frösteln. Aber nicht deshalb habe ich euch hergeführt – doch du, Samweis, bist ungerufen mitgekommen und wirst nun für deine Wachsamkeit bestraft. Ein Becher Wein soll es wiedergutmachen. Kommt nun und seht!«
Er trat neben den schweigenden Wachtposten am dunklen Rand des Felsens, und Frodo folgte ihm. Sam blieb zurück; ihm war es auf dieser hohen, feuchten Plattform schon unbehaglich genug. Faramir und Frodo blickten hinab. Tief unten sahen sie das Wasser weiß schäumend in einer Mulde niedergehen und dunkel durch ein tiefes, ovales Becken im Fels wirbeln, bis es durch eine schmale Pforte strudelnd und plätschernd in flacheres Gelände abfloss. Das schräg einfallende Mondlicht glitzerte noch auf den Wellen. Sogleich bemerkte Frodo ein kleines dunkles Etwas am diesseitigen Ufer, und während er es noch beobachtete, sprang es hinein und verschwand, wie ein Pfeil oder ein spitzer Stein eintauchend in der schwarzen Flut dicht hinter dem schäumenden Gebrodel des Wasserfalls.
»Was würdest du nun sagen, was das ist, Anborn?«, sagte Faramir zu dem Wachtposten. »Ein Eichhörnchen oder ein Eisvogel? Gibt es an den Teichen in der ewigen Nacht des Düsterwalds schwarze Eisvögel?«
»Ein Vogel ist es jedenfalls nicht«, antwortete Anborn. »Es hat vier Gliedmaßen und taucht wie ein Mensch, und darauf versteht es sich meisterhaft. Was es wohl will? Sucht es einen Weg, der hinter dem Vorhang zu unserem Versteck heraufführt? Anscheinend sind wir nun doch entdeckt worden. Ich habe den Bogen bereit, und andere, die auch nicht viel schlechter schießen als ich, stehen an beiden Ufern. Wir warten nur auf deinen Befehl, Hauptmann.«
»Sollen wir schießen?«, sagte Faramir, sich rasch an Frodo hinwendend.
Frodo zögerte einen Moment. »Nein«, sagte er dann. »Nein, bitte nicht schießen!« Sam traute sich’s nicht, aber er hätte ja gesagt, und zwar viel schneller und lauter. Er konnte nichts sehen, erriet aber aus ihren Worten ziemlich genau, um was es ging.
»Du weißt also, was das für eine Kreatur ist?«, sagte Faramir. »Nun, da du sie gesehen hast, erkläre mir bitte, warum wir sie verschonen sollen. In unserem ganzen Gespräch hast du kein Wort von deinem zerlumpten Gefährten gesagt, und ich habe vorläufig nicht weiter nach ihm gefragt. Das hätte Zeit gehabt, bis er eingefangen und mir vorgeführt würde. Ich habe meine besten Jäger nach ihm ausgeschickt, aber er ist ihnen entwischt, und bis jetzt haben sie ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen, ausgenommen Anborn hier, gestern Abend in der Dämmerung. Aber nun hat er sich eines Vergehens schuldig gemacht, das wir nicht so leichtnehmen können wie seine Kaninchenjagd im Hochland. Er hat es
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