Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Gänsemarsch gingen sie an Hecken und Gebüschen entlang, und um sie senkte sich die Nacht. In ihren dunklen Mänteln waren sie so unsichtbar, als trügen sie jeder einen Zauberring. Weil sie alle Hobbits waren und jedes Geräusch vermieden, gingen sie so leise, dass selbst ein Hobbit sie nicht hätte hören können. Auch die Tiere in Wald und Feld bemerkten sie kaum.
Nach einer Weile überschritten sie die Wässer, auf einer schmalen Holzbrücke westlich von Hobbingen. Das Flüsschen war dort nur ein gewundener schwarzer Streifen, an den Ufern mit überhängenden Erlen bestanden. Ein paar Meilen weiter südlich überquerten sie hastig die große Straße, die von der Brandyweinbrücke herkam. Sie befanden sich nun im Tukland und hielten, nach Südosten abbiegend, auf die Grünberge zu. Als sie die ersten Hänge hinaufstiegen, schauten sie sich um und sahen, nun schon aus einiger Entfernung, im lieblichen Tal der Wässer die Lichter von Hobbingen schimmern. Bald verschwanden sie hinter den Erhebungen des nächtlichen Landes, und dann waren die Lichter von Wasserau neben dem grauen Teich zu sehen. Als auch die Fenster des letzten Gehöfts nur noch weit hinter ihnen durch die Bäume blinkten, drehte Frodo sich um und winkte zum Abschied.
»Wer weiß, ob ich noch mal in dieses Tal hinabschauen werde?«, sagte er leise.
Nach etwa drei Stunden machten sie Rast. Die Nacht war kühl und sternenklar, aber von den Bächen und Wiesen in den Niederungen krochen Nebelstreifen wie Rauchkringel die Hänge hinauf. Dünn belaubte Birken schwankten über ihnen im leichten Wind und zogen ein schwarzes Netz vor den fahlen Himmel. Sie verzehrten ein (nach Hobbitmaßstäben) karges Abendbrot; dann gingen sieweiter. Bald stießen sie auf eine schmale Straße, ein graues Band, das bergauf, bergab in die Dunkelheit vor ihnen eintauchte: die Straße nach Waldhof, Stock und zur Bockenburger Fähre. Sie zweigte von der großen Straße im Wässertal ab und wand sich über die Ausläufer der Grünberge zum Waldende hin, einem unbesiedelten Winkel im Ostviertel.
Nach einer Weile stiegen sie in einen tiefen Hohlweg zwischen hohen Bäumen hinab, deren dürres Laub im Nachtwind raschelte. Es war ganz dunkel geworden. Zuerst sprachen sie noch oder summten leise zusammen ein Lied vor sich hin, denn nun waren sie fern von allen neugierigen Ohren. Aber bald marschierten sie schweigend, und Pippin begann zurückzubleiben. Schließlich, als es einen steilen Hang hinaufging, blieb er stehen und gähnte.
»Ich bin zum Umfallen müde«, sagte er. »Wollt ihr denn im Gehen schlafen? Es ist beinah Mitternacht.«
»Ich dachte, du gehst gern nachts spazieren«, sagte Frodo. »Aber wir haben keine Eile. Merry erwartet uns erst irgendwann übermorgen; da haben wir fast noch zwei Tage. An der nächsten günstigen Stelle machen wir Halt.«
»Der Wind kommt von Westen«, sagte Sam. »Wenn wir über diesen Hügel sind, finden wir ein halbwegs geschütztes Fleckchen, Herr Frodo, wo es sich aushalten lässt. Da vorn kommt ein Tann mit trockenem Boden, wenn ich mich recht erinnere.« Sam kannte das Land gut auf zwanzig Meilen im Umkreis um Hobbingen, aber dann hörte seine Ortskenntnis auf.
Gleich hinter der Hügelkuppe kam das Stück Tannwald. Sie gingen abseits der Straße in die tiefe, harzduftende Dunkelheit zwischen den Bäumen und sammelten trockene Äste und Tannenzapfen für das Lagerfeuer. Bald prasselte es zu Füßen einer großen Tanne, und sie blieben noch ein Weilchen davor sitzen, bis sie die Augen nicht mehr offen halten konnten. Dann rollten sie sich in ihre Mäntel und Decken ein, jeder in einem anderen Winkel an der Seite der dicken Baumwurzeln, und waren bald tief im Schlaf. Eine Wache hielten sie nicht für nötig; selbst Frodo befürchtete keineGefahr, denn sie waren ja noch mitten im Auenland. Nur ein paar Tiere kamen und beäugten sie, als das Feuer niedergebrannt war. Ein Fuchs, der in eigener Sache durch den Wald streifte, blieb ein paar Minuten da und beschnüffelte sie.
»Hobbits!«, sagte er. »So was! In diesem Land wundert mich ja nichts mehr, aber dass ein Hobbit draußen unter einem Baum schläft, das gibt es selten. Und auch noch zu dritt! Da steckt doch was ganz Komisches dahinter!« Wie Recht er hatte, erfuhr er wohl nie.
Der Morgen kam, bleich und feuchtkalt. Frodo erwachte als erster, mit steifem Hals und einem Gefühl, als ob sich die Baumwurzel über Nacht in seinen Rücken gebohrt hätte. »Wandern, o welche Lust! Warum
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