Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
keine mehr heimkehren. Dann wird eine Tapferkeit nötig sein, die keinen Ruhm einträgt, denn niemand wird mehr der Taten gedenken, die in den letzten Abwehrkämpfen für eure Heimat geleistet werden. Doch sind solche Taten nicht weniger kühn, weil sie unbesungen bleiben.«
Und sie antwortete: »All deine Worte besagen nur: Du bist eine Frau, und dein Platz ist im Hause. Wenn aber die Männer den Heldentod in der Schlacht gefunden haben, dann steht es dir frei, das Haus anzuzünden und mit ihm zu verbrennen, denn die Männer brauchen es nicht mehr. Doch ich bin aus Eorls Geschlecht und keine Dienstmagd. Ich kann reiten und die Klinge führen, und ich fürchte weder Schmerz noch Tod.«
»Was dann fürchtest du, hohe Frau?«, sagte er.
»Den Käfig«, sagte sie. »Immer hinter Gittern zu sitzen, bis Gewohnheit und hohes Alter jede Aussicht und selbst den Wunsch, Heldentaten zu leisten, unwiderruflich zunichte machen.«
»Und doch hast du mir von dem Weg, den ich gewählt habe, abgeraten, weil er gefährlich sei?«
»So darf man einem andern wohl raten«, sagte sie. »Doch nicht die Gefahr zu meiden, hab ich dich gebeten, sondern in den Krieg zu ziehen, wo dein Schwert dir Ruhm und Sieg erwerben kann. Ich mag es nicht mit ansehn, wie etwas Edles und Vortreffliches unnütz weggeworfen wird.«
»Das mag ich auch nicht«, sagte er. »Und darum sag ich dir, hohe Frau, bleibe hier! Denn im Süden hast du nichts zu suchen.«
»Das haben die andern, die mit dir gehn, ebenso wenig. Auch siegehn mit, weil sie sich von dir nicht trennen wollen – weil sie dich lieben.« Sie drehte sich um und verschwand in der Nacht.
Als das erste Tageslicht den Himmel erhellte, die Sonne aber noch nicht über die hohen Bergkämme im Osten gestiegen war, machte Aragorn sich zum Aufbruch bereit. Sein Gefolge war aufgesessen, und auch er wollte schon in den Sattel springen, als Frau Éowyn kam, um ihnen Lebewohl zu sagen. Sie war in Reitertracht und hatte ein Schwert umgegürtet. In der Hand hielt sie einen Becher. Den setzte sie an die Lippen, trank einen Schluck und wünschte ihnen eine gute Fahrt; dann reichte sie Aragorn den Becher, und er trank und sagte: »Lebe wohl, Herrin von Rohan! Ich trinke auf das Glück deines Hauses und auf dein und deines ganzen Volkes Glück. Sag deinem Bruder: Jenseits der Schatten sehen wir uns wieder.«
Da glaubten Legolas und Gimli, die nahebei waren, sie weinen zu sehn, was bei einer so strengen und stolzen Jungfrau umso herzzerreißender schien. Doch sie sagte: »Aragorn, willst du gehen?«
»Ja«, sagte er.
»Und willst du mich nicht mit deiner Schar reiten lassen, wie ich es erbeten habe?«
»Nein, hohe Frau«, sagte er. »Denn das könnte ich dir nicht ohne Erlaubnis des Königs und deines Bruders gewähren; und sie werden erst morgen zurückkommen. Mir aber ist nun jede Stunde, ja jede Minute kostbar. Lebe wohl!«
Da fiel sie auf die Knie nieder und sagte: »Ich bitte dich!«
»Nein, hohe Frau«, sagte er, nahm sie bei der Hand und hob sie auf. Dann küsste er ihr die Hand, sprang in den Sattel und ritt davon, ohne sich umzuschauen; und nur wer ihn gut kannte und in der Nähe war, sah, welche Qual er litt.
Éowyn aber stand wie versteinert, die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt, bis die Reiter in die Dämmerung am Fuß des schwarzen Dwimorbergs eintauchten, des Geisterbergs, in den die Pforte zu den Pfaden der Toten hineinführte. Als sie außer Sichtwaren, wandte sie sich ab und ging, stolpernd wie eine Blinde, in ihre Behausung zurück. Keiner von ihrem Volk hatte diesen Abschied mit angesehen, denn die Leute hielten sich ängstlich versteckt und kamen erst am hellen Tag wieder hervor, als die verwegenen Fremdlinge fort waren.
»Das sind elbische Wichte«, sagten manche. »Die sollen nur in ihre dunklen Höhlen gehn, wo sie hingehören, und nie wiederkommen! Die Zeiten sind schon schlimm genug.«
Das Tageslicht war grau, als sie aufbrachen, denn die Sonne war noch nicht über die schwarzen Grate des Geisterbergs vor ihnen gestiegen. Es schauderte sie, als sie zwischen Reihen von uralten Steinen hindurchritten und zum Dimholt-Wald kamen. Unter düsteren Bäumen, die selbst Legolas nicht gern um sich sah, fanden sie den Eingang in eine Schlucht am Fuß des Berges, und mitten in ihrem Weg stand ein einzelner, hochragender Stein wie ein erhobener Zeigefinger des Schicksals.
»Mir stockt das Blut«, sagte Gimli, aber die anderen schwiegen still, und die Worte fielen ihm dumpf auf
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