Der Herr der Ringe
gut zusammen und ist federleicht. Wunderbare Leute, zweifelsohne!«
»Dreißig Ellen«, sagte Frodo nachdenklich. »Ich glaube, das würde reichen. Wenn das Gewitter vorbei ist, ehe die Nacht hereinbricht, dann will ich’s versuchen.«
»Der Regen hat schon fast aufgehört«, sagte Sam. »Aber mach nicht wieder irgendwas Gefährliches im Dunkeln, Herr Frodo! Und ich bin noch nicht über diesen Schrei bei dem Sturm weggekommen, oder du etwa? Wie ein Schwarzer Reiter klang es – aber einer hoch oben in der Luft, als ob sie fliegen könnten. Ich glaube, wir lassen diesen Versuch lieber, bis die Nacht vorbei ist.«
»Und ich glaube, ich möchte nicht einen Augenblick länger, als es sein muss, auf diesem Grat festsitzen, während die Augen des Dunklen Landes über die Sümpfe herüberstarren«, sagte Frodo.
Damit stand er auf und ging wieder zum Grund der Rinne hinunter. Er schaute hinaus. Im Osten wurde der Himmel wieder klar. Die Ränder der zerfetzten und nassen Gewitterwolken hoben sich, der Hauptsturm hatte sich verzogen und breitete seine großen Flügel über dem Emyn Muil aus, über dem Saurons dunkle Gedanken eine Weile schwebten. Von dort wandte er sich ab, stieß mit Hagel und Blitz auf das Tal des Anduin nieder und warf seinen Schatten mit der Drohung des Krieges auf Minas Tirith. Dann senkte er sich auf das Gebirge, sammelte seine großen Flammenzungen und zog langsam über Gondor und die Grenzgebiete von Rohan, bis die Reiter auf der fernen Ebene, als sie gen Westen ritten, sahen, wie sich schwarze Massen hinter der Sonne auftürmten. Aber hier, über der Wüstenei und den üble Dünste ausströmenden Sümpfen war wieder tiefblauer Abendhimmel, und ein paar bleiche Sterne erschienen wie kleine weiße Löcher im Himmelszelt über dem zunehmenden Mond.
»Es tut gut, wieder sehen zu können«, sagte Frodo und atmete tief. »Weißt du, dass ich eine Weile glaubte, ich hätte mein Augenlicht verloren? Von dem Blitz oder etwas noch Schlimmerem. Ich konnte nichts sehen, überhaupt nichts, bis das graue Seil herunterkam. Es schien irgendwie zu schimmern.«
»Es sieht sozusagen silbern im Dunkeln aus«, sagte Sam. »Hab es nie vorher bemerkt, allerdings kann ich mich auch nicht erinnern, dass ich es je herausgeholt habe, nachdem ich es einmal verstaut hatte. Aber wenn du so entschlossen bist, zu klettern, Herr Frodo, wie willst du es dann verwenden? Dreißig Ellen, oder sagen wir zehn Klafter: Deiner Schätzung nach ist die Felswand nicht höher.«
Frodo dachte eine Weile nach. »Mach es an dem Baumstumpf fest, Sam«, sagte er. »Dann sollst du, glaube ich, diesmal deinen Willen haben und als Erster gehen. Ich werde dich hinunterlassen, und du brauchst nicht mehr zu tun, als dich mit Händen und Füßen vom Felsen abzustoßen. Allerdings, wenn du ab und zu mit deinem ganzen Gewicht auf einige der Vorsprünge trittst und mir eine Ruhepause gönnst, wird das hilfreich sein. Wenn du unten bist, komme ich nach. Ich fühle mich jetzt wieder ganz gut.«
»Sehr schön«, sagte Sam bedrückt. »Wenn es schon sein muss, dann wollen wir es gleich hinter uns bringen!« Er nahm das Seil und befestigte es an dem Baumstumpf, der dem Rand am nächsten war; das andere Ende knüpfte er sich dann um den Leib. Widerstrebend drehte er sich um und schickte sich an, zum zweiten Mal den Weg nach unten anzutreten.
Es erwies sich jedoch als nicht halb so schlimm, wie er erwartet hatte. Das Seil schien ihm Zuversicht einzuflößen, obwohl er mehr als einmal die Augen schloss, wenn er nach unten zwischen seine Füße sah. Eine unangenehme Stelle kam, wo es keinen Vorsprung gab und die Felswand steil und ein kurzes Stück sogar unterhöhlt war; da rutschte er ab und baumelte an der silbernen Leine. Aber Frodo ließ ihn langsam und stetig hinab, und schließlich war es überstanden. Seine größte Angst war gewesen, dass das Seil zu Ende sein könnte, während er noch hoch oben war, doch hatte Frodo noch eine gute Bucht in der Hand, als Sam auf dem Boden anlangte und rief: »Ich bin unten!« Seine Stimme drang deutlich herauf, aber Frodo konnte ihn nicht sehen; sein grauer Elbenmantel verschwamm im Zwielicht.
Frodo brauchte etwas mehr Zeit, um ihm zu folgen. Er hatte das Seil um den Leib, und oben war es sicher befestigt, und er hatte es gekürzt, sodass es ihn bei einem Sturz halten würde, ehe er den Boden erreichte; trotzdem wollte er die Gefahr eines Sturzes lieber erst gar nicht riskieren, denn er hatte nicht ebenso viel
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