Der Herr der Unruhe
wie vor elf Jahren, aber seine Augen sahen müde aus. Er wiegte den Kopf hin und her. »Ich bin kein Prophet, mein Freund. Der Moment scheint günstig. Günstiger denn je, das will ich nicht abstreiten …« Seine Stimme en t schwebte gleichsam mit dem Abendwind.
»Aber?«, hakte Nico nach.
»Der Krieg ist noch nicht zu Ende.«
»Die Leute behaupten, es hätte seit vorgestern auf uns e rem Territorium keine Gefechte mehr gegeben.«
Lorenzo lächelte matt. »Das ist eine viel zu kurze Zeit.«
»Aber ich muss endlich etwas tun. So wie der Marschall mit eisernem Besen unter den Faschisten kehrt, ist Manzini vielleicht längst entmachtet. Ich werde dafür sorgen, dass er sich vor Gericht für seine Taten verantworten muss.«
»Viel Glück, mein junger Freund. Darf ich dir einen Rat geben?«
Nico schürzte die Lippen. Dann zuckte er die Achseln.
»Ich bin nur ein Mönch, allerdings einer, der den Vorzug genießt, Einsicht in Dinge zu haben, die den meisten Augen verborgen bleiben. Das ist nicht immer angenehm, aber jetzt diene ich schon dem zweiten Papst und habe dabei so allerlei Erfahrung gesammelt.«
Nico nickte. »Deshalb komme ich ja zu dir.«
Das Großejungenlächeln schimmerte für einen Moment unter den erschöpften Gesichtszügen hindurch. »Nur de s halb?«
»Und weil wir Freunde sind.«
»Es ist schön, das zu hören, Nico. Ich will meinen Rat kurz fassen: Verschieße nicht dein ganzes Pulver gleich am ersten Tag.«
»W-was …?«
»Du hast einige sehr wertvolle Beweisstücke im Haus des Podestà von Nettunia in deinen Besitz gebracht. Um Ma n zini verhaften zu lassen, brauchst du nur einige davon. Du kannst immer noch andere nachschieben, wenn er erst hi n ter Schloss und Riegel sitzt. Wähle deine Waffen also mit Bedacht.«
»Und womit soll ich gegen ihn zu Felde ziehen? Em p fiehlst du mir das Schwert, oder soll ich doch besser die Armbrust nehmen?«
Lorenzo erwiderte den trotzigen Blick des jungen Mannes gleichmütig. »Letzteres. Es ermöglicht dir, aus größerer Distanz auf ihn zu zielen.«
Bereits am nächsten Tag betrat Nico, unter dem Arm das Auftragsbuch seines Vaters, den monumentalen Palazzo di Giustizia am linken Tiberufer. Ein Pförtner, ein schnurrbä r tiger Zwerg mit Brille in fortgeschrittenem Alter, hinderte ihn am Eindringen.
»Was wünschen Sie, Signore?«
»Bitte melden Sie mich der Procura del Re .«
»Wozu? Haben Sie etwas verbrochen?«
»Ich möchte jemanden anzeigen.«
»Das wollen alle.«
»Es ist dringend.«
»Dann gehen Sie zur Polizei.«
»Es handelt sich um einen Mörder.«
»Was Sie nicht sagen! Umso wichtiger, dass die Polizei davon erfährt.«
»Der Täter ist außerdem Podestà einer nicht unbedeute n den Stadt in Latium.«
Der Pförtner lächelte müde. »Sind nicht alle Politiker in diesem Land Gauner?«
»Er hat meinen Vater umgebracht. Ich bin Augenzeuge. Würden Sie so leichtfertig darüber hinweggehen, wenn Ihr Vater von einem Stadtoberhaupt erstochen worden wäre?«
»Mein Vater ist lange tot.«
Nico ließ die Kladde vor dem Pförtner flach auf den Tr e sen knallen. »Verdammt noch mal! Wenn Sie keine Lust zum Arbeiten haben, dann soll mir das egal sein, aber in diesem Fall machen Sie sich mitschuldig, wenn Sie mich nicht zur Staatsanwaltschaft durchlassen.«
Normalerweise genügte ein geringerer Ausbruch, um bei einem Staatsdiener auf Lebenszeit in Ungnade zu fallen. Aus irgendeinem Grund hatte Nico mit seinem forschen Auftreten jedoch den Pförtner aufgescheucht. Der Mann griff zum Telefon und wählte eine Nummer. Ein paar hast i ge Sätze wurden in den Hörer gestoßen, und wenig später gab der garstige Zwerg die Zimmernummer preis, die den Bürger zu einem hörenden Ohr leiten würde.
Da man ohnehin gerade dabei war, den faschistischen Schlamm aus den Amtsstuben zu spülen, wurde Nicos A n zeige mit großem Interesse aufgenommen. So erklärte sich jedenfalls ein jüngerer, trotz allem etwas steif wirkender Beamter in tadellosem schwarzen Anzug, der nicht nur se i ne Haare ständig nach hinten strich, sondern in gleicher Weise am liebsten sofort die ganze schwarze Vergangenheit der letzten einundzwanzig Jahre aus dem Blickfeld geräumt hätte. Zumindest gab er sich den Anschein, Marschall B a doghos neuen Kurs entscheidend mitgestalten zu wollen.
»Der Name Massimiliano Manzini ist im Justizpalast nicht unbekannt«, gestand Signor Vittorio Abbado, der sich als »rechte Hand des in solchen Fällen ermittelnden Staat s anwalts«
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