Der Herr der Unruhe
zu erkennen gab.
Klar, ihr habt ja schon einmal meine Zeugenaussage in euren Schubladen verschwinden lassen. Nico legte ein in braunes Leder gebundenes Buch vor dem Beamten auf den Tisch und lächelte. »Das wundert mich nicht. Ich habe I h nen hier etwas mitgebracht, zu dem ich Ihnen gerne eine Geschichte erzählen möchte. Ihnen mag sie aufregend e r scheinen, aber für mich ist sie die traurigste die ich je erlebt habe.«
Die Carabinieri drangen am Mittwoch, den 8. September 1943 gegen acht Uhr früh in den Palazzo Manzini ein. Alle Ausgänge waren von den Polizisten besetzt, ein Entko m men somit ausgeschlossen. Unter der zum italienischen Heer gehörenden Einheit befand sich auch ein bärtiger Ziv i list, der einen Hut mit Krempe, einen langen grüngrauen Regenmantel und eine dunkle Sonnenbrille trug. Das Pe r sonal hielt ihn für den commissario, obwohl er sich für e i nen Ermittlungsbeamten eher untypisch verhielt. Während der ganze Razzia behielt er seine Hände in den Mantelt a schen vergraben und sprach zudem kein einziges Wort.
Nico glaubte die Besinnung verlieren zu müssen, als plötzlich Laura vor ihm stand. In den verflossenen drei Ja h ren war sie noch schöner geworden, aber er hatte ihr G e sicht auch noch nie so ernst gesehen. Ihre Augen waren zwei dunkle Brunnenschächte, aus denen nur noch Schwermut und Verzweiflung geschöpft werden konnte. Trotzdem stellte sie sich, wie eine Löwenmutter, die ihre Jungen verteidigt, der Truppe entgegen. Sie starrte Nico scharf an.
»Was soll dieses Theater?«
An Stelle des Gefragten antwortete der Kommandant. »Wir kommen, um Signor Manzini vorläufig festzune h men.«
Lauras Augen gaben den Bärtigen mit der dunklen Brille nicht frei, während sie kühl erwiderte: »Erst werfen Sie ihn aus dem Amt und jetzt ins Gefängnis? Aus welchem Grund?«
»Ich bin nicht befugt, Ihnen irgendwelche Auskünfte zu erteilen. Sollten Sie uns allerdings aufhalten wollen, bin ich gezwungen, Gewalt anzuwenden.«
Nur widerstrebend fügte sich Laura in das scheinbar U n abwendbare und gab den Weg für die bewaffnete Einheit frei. Nico ließ sich einfach in Richtung Arbeitszimmer mi t treiben. Er hatte gehofft, es würde nicht zu dieser Bege g nung kommen.
Auf der Treppe kam ihnen Donna Genovefa entgegen. Sie schwebte gleichsam die Stufen hinab, bedachte die Carab i nieri nur mit einem flüchtigen Blick, aber als sie an Nico vorüberglitt, glaubte er auf ihren Lippen den Anflug eines Lächelns zu sehen.
Als die Operation sich auf das erste Obergeschoss des P a lastes ausdehnte, war Don Massimiliano, wie vom K ü chenmädchen vermutet, noch in seinem Arbeitszimmer. Er beschäftigte sich gerade mit dem Befeuern seines Kamins.
»Signor Manzini«, eröffnete der commandante, »Sie sind verhaftet.«
Ohne Zögern führten mehrere Polizisten die Order der Staatsanwaltschaft aus. Die Procura del Re hatte Nicos Aussage für »sehr überzeugend« gehalten. Das Ausschre i ben des Haftbefehls war, nachdem man sich einen Ve r gleichsfingerabdruck des Stadtvorstehers von Nettunia b e sorgt und die Übereinstimmung mit jenem im Auftragsbuch festgestellt hatte, nur noch eine Formalität gewesen.
Der massige Gefangene setzte sich nicht zur Wehr.
»Ah!«, machte der Kommandant, nachdem er einen Blick auf die Manzini entrissenen Papiere geworfen hatte. »Sind die Herren auf dieser Liste von Ihnen mit ›Spenden‹ b e dacht worden?«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, knurrte Manzini.
Der Kommandant hielt ihm die zerknitterten Blätter en t gegen. »Hier hat jemand hohe Summen verzeichnet, die Ihnen als Stadtoberhaupt von Nettuno zugeflossen sind. Warum verbrennen Sie so etwas?«
»Hätte ich das getan, könnten Sie es nicht in Händen ha l ten«, erwiderte Manzini mit ausdrucksloser Miene. Dann fügte er mit Blick auf Nico hinzu. »Sagen Sie Ihrem schweigsamen Begleiter, dass man Massimiliano Manzini nicht so einfach verhaften kann. Ich habe mächtige Freu n de.«
Der Kommandant lachte. »Sitzen die nicht längst alle im Gefängnis?«
»Warten Sie ‘s ab. Nehmen Sie mich mit, wenn Sie es unbedingt für nötig halten, aber wagen Sie es nicht, mein Eigentum anzurühren! Und seien Sie achtsam, wenn Sie in Zukunft ohne Ihre Armee das Haus verlassen.«
»Wollen Sie mir drohen?«
Manzini schnaubte nur. Erst als man ihn abführen wollte, verlangte er nach der Lebensuhr.
»Die wird zu den Beweisstücken gegeben«, entgegnete der Kommandant.
Manzinis Gesichtsfarbe
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