Der Herr der Unruhe
dann wende dich an die Leute, denen du früher irgendwelche Sachen repariert hast.«
»Ich möchte niemanden in Schwierigkeiten bringen.«
»Auf eine Kameradschaft, die nur in rosigen Zeiten fun k tioniert, kannst du pfeifen.«
»Noch was, Domenico. Hast du eine Ahnung, wo ich die Leute von der Giustizia e Libertà finden kann?«
»Die partigiani, meinst du?«
»Partisanen? Nennen Sie sich jetzt so?«
»Nach allem, was man hört, sticheln sie die Deutschen mit häufigen Sabotageakten. Ein Freund sagte mir, dass sie irgendwo in den Pontinischen Sümpfen ihr Lager haben sollen, aber nichts Genaues weiß man nicht. Willst du dich Ihnen anschließen?«
»Nein. Ein Freund von mir ist bei ihnen. Ich würde gerne wissen, wie es ihm geht.«
»Tut mir Leid, Junge. Da kann ich dir nicht weiterhelfen.«
Nico bedankte sich und machte sich auf den Weg in die Stadt.
Den langen Mantel hatte er inzwischen wieder gegen eine Jacke eingetauscht. Sie war aus brauner Wolle. Dazu trug er eine farblich passende Schiebermütze. Er sah aus wie ein Hafenarbeiter. Wegen der Seeblockade hatten die nicht mehr viel zu tun. Es würde also nicht auffallen, wenn so einer durch die Stadt stromerte.
Weil er während seiner Zeit als Gemeindemechaniker in Nettunia so viele Herzen gewonnen hatte, musste er in dem Kampf gegen seinen Feind wenigstens nicht ganz von vorn anfangen. Da gab es die rundliche Signora Pallotta mit i h rem Obst- und Gemüseladen gegenüber dem Palazzo Ma n zini, die Eltern der kleinen Marianna Grilli und noch zah l reiche andere, die sich ihm verbunden fühlten und einen Groll gegen ihren neuen alten Stadtvorsteher hegten.
Einige Tage lang beobachtete er wie schon früher einmal das Anwesen seines Gegenspielers. Manzini verließ seinen Palazzo nun stets in Begleitung von zwei Begleitern: Ein dunkelhaariger Mann mit tiefen Geheimratsecken leistete Uberto Dell’Uomo auf dem Beifahrersitz Gesellschaft. Der Fremde war in Nicos Alter. Er gehörte nicht unbedingt zu den Menschen, die einem auf Anhieb sympathisch waren. Wenn er das Stadtoberhaupt vom Auto zum Palazzo C o munale begleitete, dann behielt er stets die rechte Hand in seinem Jackett und beobachtete mit wachsamen Augen die Umgebung. Offenkundig ahnte Massimiliano Manzini, dass es da draußen jemand gab, der ihn im Visier hatte.
Während Nico von wechselnden Quartieren aus seinen heimlichen Beobachtungen nachging, wurde immer offe n sichtlicher, wie zielstrebig Hitlers Unterstützer um die Rückkehr zur Macht kämpften. Am 23. September wurde die Repubblica Sociale Italiana ausgerufen, von keinem Geringeren als von Benito Mussolini. Von Salò am Gard a see aus versuchte er, die Herrschaft in Nord- und Mittelit a lien wiederzuerlangen. Aber nur eingefleischte Faschisten glaubten noch an die Souveränität ihres Duce, der Rest wusste, dass er ein Instrument der deutschen Besatzung s truppen geworden war.
Dem Stadtoberhaupt Nettunias schien deren Gedeihen b e sonders am Herzen zu liegen, wie Nico in zahlreichen G e sprächen herausfand. Ein Lagerarbeiter hatte dies gesehen, ein Lastwagenfahrer das, ein Bäcker berichtete hier- und eine Fischverkäuferin darüber. Hinter vorgehaltener Hand beklagte man sich in der Cantina Sociale, wo die Bauern Obst, Gemüse und Wein zum Verkauf abgaben, bitterlich über die Rücksichtslosigkeit des »Gouverneurs« – so wurde Manzini von vielen jetzt genannt. Auf seine Anordnung mussten größere Posten Lebensmittel einbehalten und an die Deutschen ausgeliefert werden, obwohl die Blockade der Alliierten unter der Bevölkerung zu immer größerer Knappheit führte. Allmählich bestätigte sich was die in se i nem Palazzo von Nico erbeuteten Listen schon angedeutet hatten: Der ehrenwerte Don Massimiliano versorgte die Besatzungstruppen mit Proviant, seine Fahrzeuge transpo r tierten sogar Beutegut, und seine Leute halfen der SS beim Kampf gegen die Partisanen.
Zwei Tage nach der Proklamation der »Sozialen Republik Italien« entdeckte Nico im Schaufenster einer Trattoria U berto Dell’Uomo. Es war kurz vor zehn Uhr nachts. Er saß allein an einem viereckigen Tisch und kämpfte mit dem Skelett eines größeren Fischs.
Eine Weile lang beobachtete Nico den Chauffeur. Er sah irgendwie unzufrieden aus. Lag das an den Gräten oder an den Leibwächtern von der Banda Koch, die ihm offenbar einen Teil seines bisherigen Aufgabengebiets abgenommen hatten? War es zu gewagt, einfach in die Gaststätte zu sp a zieren und ein wenig mit dem
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