Der Herr der Unruhe
nicht.«
»Schon klar. Kümmerst du dich jetzt um seine Leben s uhr?«
»Machst du Witze, Niklas? Nach seiner Freilassung ist er noch misstrauischer als früher. Die Taschenuhr liegt jetzt im Stahlschrank, wenn er sie nicht am Körper trägt.«
»Er nimmt sie mit sich?«, frage Nico erstaunt.
»Nein, nicht wirklich; das Arbeitszimmer verlässt sie nie. Immerhin kümmert er sich jetzt selbst um ihr Wohlerg e hen.«
»Vielleicht hat er ja inzwischen Nietzsches Zarathustra gelesen: ›Gute Uhrwerke sind sie: Nun sorge man, sie ric h tig aufzuziehn!‹ Weißt du noch?« Nico lächelte. »Ansche i nend hat er ‘s endlich kapiert. Wie kommst du übrigens mit deinem neuen Kollegen zurecht, Uberto?«
»Was?«
»Dem Kerl von der Banda Koch.«
»Guido Valletta?« Uberto schnaubte. »Ein gewissenloser Bursche, der gut schießen kann, aber das ist auch schon alles. Von meinem Platz am Lenkrad wird er mich nie ve r treiben.«
Nico hielt die Luft an. Ehe sein Gegenüber einen klaren Gedanken fassen konnte, fragte er: »Und die anderen?«
»Taugen alle nicht viel.«
»Ich dachte immer, Polizisten und Geheimdienstler wü r den eine gute Ausbildung genießen.«
»Mag sein. Aber entscheidend ist doch, was einer hier hat.« Uberto deutete auf sein Herz.
Nico nickte ausgiebig. »Da hast du Recht. Du bist Don Massimiliano immer treu geblieben, und nun dankt er es dir so. Dieser Guido, kann man sich wenigstens auf den verla s sen?«
Uberto verzog das Gesicht. »Weiß nicht. Ein ganz mer k würdiger Typ. Hat ‘ne Visage, mit der er sogar Donna G e novefa vertreibt, die sonst niemanden mehr wahrzunehmen scheint.«
»Dann ist ihr Zustand schlimmer geworden?«
Uberto nickte. »Sie hätte im Sanatorium bleiben sollen.«
»Und … was ist mit Laura?«
»Du bist in sie verknallt, stimmt’s?«
Nico senkte den Blick, nickte dann aber doch.
»Ich habe sie schon seit Wochen nicht mehr lachen sehen. Sie nimmt neuerdings Fahrunterricht bei mir – ich vermute, um sich abzulenken.«
»Sie will nicht mehr an mich denken, stimmt’s?«
»Wohl eher nicht an die jungen Burschen, die Don Ma s similiano ständig anschleppt. Seitdem du verschwunden bist, versucht er seine Tochter mit aller Macht unter die Haube zu bringen – er hat sich den Gedanken, eine Dyna s tie zu gründen, immer noch nicht aus dem Kopf geschlagen. Na, ist auch egal. Laura hat bisher jedem Kerl einen Korb gegeben. Ich glaube, sie kann dich nicht vergessen.«
Nico schob verlegen die Handflächen über die hölzerne Tischplatte. Sie hinterließen darauf feuchte Spuren. »Davon habe ich bei unserer letzten Begegnung nicht viel bemerkt.«
»Hat sie klipp und klar gesagt, dass Sie dich nicht mehr liebt?«
Du hast alles zerstört. Glaubst du, du wirst jetzt endlich Frieden finden? »Irgendwie schon.«
»Irgendwie!«, grunzte Uberto und schüttelte den Kopf.
Nico brütete eine Weile vor sich hin. Er war nicht in die Trattoria gekommen, um mit diesem Mann über seine ve r lorene Liebe zu reden. Fast unbeholfen brachte er das G e spräch auf das Thema, das ihn am meisten bewegte.
»Uberto?«
»Trink noch einen Schluck, Niklas.«
Er gehorchte, und der Fahrer schenkte nach. Der kühle Weißwein schien seine Zunge zu lockern. »Wieso hat dich Don Massimiliano ausgerechnet als Chauffeur angestellt?«
»Du meinst, wegen meiner zwei linken Hände?« Uberto lachte. »Ich habe schon davon geträumt, ein Automobil zu fahren, als ich noch ein Rotzbengel war.«
»Bist du denn je erwachsen geworden?«
»Ha! Du hast mich durchschaut, Niklas. Don Massimili a no hat dafür wesentlich länger gebraucht. Außerdem waren die Automobile Mitte der zwanziger sowieso noch unzuve r lässiger als heute. Als ihm endlich aufging, dass ich und Maschinen ungefähr dasselbe sind wie Hund und Katze, hatte er sich schon an mich gewöhnt. Er ist sehr konserv a tiv. Sieh dir nur seine Anzüge an, die bunten Westen und das Monokel. Woran er sich einmal gehöhnt hat, das gibt er so schnell nicht wieder auf.«
Nico nickte verstehend. »In jener Nacht … als Emanuele dei Rossi ermordet wurde … hast du ihn da auch gefa h ren?«
Auf dem Gesicht des Chauffeurs erschien Betroffenheit, so schnell, als hätte sie ihn angesprungen. Er nahm hastig einen tiefen Schluck aus dem Glas. »Wieso willst du das wissen?«
»Uberto! Ich hab’s dir doch gerade erklärt: Ich bin der Sohn des Ermordeten.«
»Die Hand, die einen füttert, soll man nicht beißen.«
»Warum vergleichst du dich eigentlich
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