Der Herr der Unruhe
in e i nem Sternmarsch auf Rom vor und sammelten sich ung e fähr fünfzig Kilometer vor der Stadtgrenze. König Vittorio Emanuele III. war gegen die Verhängung des Ausnahmez u standes, aber einen Bürgerkrieg wollte er noch weniger riskieren. Also machte er den Volksschullehrer aus Preda p pio zum Regierungschef.«
»Und drei Jahre später bezieht der Duce eine Wohnung im Forte Sangallo. Wann kam eigentlich Manzini in die Stadt? Ich habe gehört, sein Vater sei ein römischer Stei n metz gewesen.«
»So sagt man. Ich kam mit dem Baron 1920 hierher, nachdem er sich ins Forte Sangallo verliebt und es gekauft hatte. Don Massimiliano muss in etwa zur gleichen Zeit nach Nettuno gezogen sein. Ich kann mich noch an Donna Esmeralda erinnern, seine erste Gemahlin, eine schöne und sehr beeindruckende Frau. Er selbst und sein ungeschlac h ter Schatten waren damals nur selten in der Stadt zu sehen, weil …«
»Ein Schatten ?«
»Signor Dell’Uomo, sein Chauffeur.«
»Ich dachte, Uberto sei erst vier oder fünf Jahre später in Manzinis Dienste getreten.«
»Vielleicht als Fahrer, aber gekannt haben müssen die beiden sich schon länger.«
Nico stülpte die Unterlippe vor und nickte bedächtig. »Ich habe dich unterbrochen, Donatello. Du wolltest mir etwas über den Purgatorio erzählen.«
»Ja, wo war ich stehen geblieben? Ach richtig! Manchmal musste ich einspringen, wenn Mussolinis Lakaien gerade nicht zur Stelle waren. Hin und wieder ließ sich der Baron auch dazu erweichen, seine Jacht dem Duce zur Verfügung zu stellen, allerdings nicht, ohne selbst das Kommando an Bord zu führen. Auch dabei war ich gewöhnlich mit von der Partie. Bei einer dieser Gelegenheiten habe ich unfre i willig eine Unterhaltung zwischen Don Massimiliano und Mussolini mitbekommen.«
Nico drohte allmählich vom Sessel zu fallen, weil er auf dem Polster immer weiter vorrutschte. »Und worum ging es da?«
»Um eine geheime Operation namens ›Purgatorio‹.«
Jetzt glitt Nicos rechter Fuß unter den Sessel, und er fiel auf das Knie. Rasch rappelte er sich wieder auf. »Verze i hung. Hat… Hatte Manzini etwas damit zu tun? War er daran beteiligt? Was sollte mit dieser Operation überhaupt …«
»Immer eins nach dem anderen, junger Mann«, bremste Donatello die Neugier seines Gastes. »Soweit ich es mitb e kommen konnte, wollten Mussolinis Gefolgsleute mit dem Unternehmen ›Purgatorio‹ eine ›Läuterung‹ in ihren Reihen durchführen …«
»Der Läuterungsberg«, wisperte Nico. »Ich nehme nicht an, dass Mussolini an der Reinigung von Sünden intere s siert war, oder?«
»Wohl eher nicht. Möglicherweise kennst du die Vorg e schichte des Duce nicht so gut. Früher war er Sozialist g e wesen. Aber dann begann er – das muss so um 1914 gew e sen sein – vom internationalen zum nationalen Sozialismus mit faschistischen Zügen umzuschwenken. Dabei mussten zwangsläufig – so funktioniert Geschichte nun mal – G e folgsleute auf der Strecke bleiben.«
»Alle, die seinen Kurswechsel nicht nachvollziehen wol l ten.«
»Du begreifst schnell. Außerdem mag es in der polit i schen Landschaft jener turbulenten Zeit einige gegeben haben, die Mussolinis Abkehr von der ›Zweiten Internati o nalen‹ für verwerflich hielten. Die Operation ›Purgatorio‹ war also eine Art Frühjahrsputz im neuen Haus des F a schismus. Wie ich aus dem Gespräch des Duce mit Don Massimiliano entnehmen konnte, hatte sich die ›Rein i gungsaktion‹ länger als erwartet hingezogen, und so wurde aus der Operation eine Institution: das Geheimkommando ›Purgatorio‹. Und dessen Kommandant war kein Geringerer als Massimiliano Manzini.«
»Jetzt verstehe ich das Bild in der Wochenschau.«
»Das muss ein peinlicher Ausrutscher gewesen sein, der auch in dem von mir belauschten Gespräch der beiden zur Sprache kam; eigentlich war es schon ein handfester Streit. Mussolini mahnte seinen Henkersknecht, die vereinbarte Berichtskette einzuhalten und beim nächsten Mal wieder D’Annunzio als Mittelsmann zu benutzen.«
»Irgendwo habe ich den Namen schon einmal gehört.«
»Würde mich wundern, wenn nicht. Gabriele D’Annunzio war ein gefeierter Dichter. Neuromantiker. Für meinen G e schmack ein wenig zu schwülstig, aber den Faschisten hat so etwas gefallen.«
»›War‹?«
»Er ist 1938 in seiner Villa am Gardasee gestorben.«
»Hmm.« Nico ließ versonnen die ölige, tiefrote Flüssi g keit in seinem Glas kreisen.
»Lass mich an deinen Gedanken
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