Der Herr der Unruhe
teilhaben, mein Junge.«
»Wenn ich eins und eins zusammenzähle, dann ist Ma n zini ausgerastet, als mein Vater ihn – völlig ahnungslos – mit dem Namen Purgatorio in Verbindung brachte. Don Massimiliano hatte schon so manche Anklage überstanden, aber hier geriet er regelrecht in Panik. So reagiert kein Mann, der anderen freundlich den Parteiaustritt nahe legt. Ich nehme an, die geheime Abteilung ›Purgatorio‹ hat beim ›Läutern‹ auch gröbere Methoden angewandt, oder?«
»Im Streit zwischen Mussolini und Don Massimiliano ging es Schlag auf Schlag. Zuerst haben sie sich gegenseitig Vorwürfe gemacht und dann einander bedroht. Dabei sind viele Andeutungen gefallen, aus denen ich mir meinen Reim gemacht habe, aber ich weiß nicht, ob das vor Gericht Bestand haben könnte.«
»Worum ging es denn in diesen … Andeutungen?«
»Offenbar konnte Purgatorio über Jahre im Geheimen sein Unwesen treiben. Die Gruppe arbeitete mit Einschüc h terung, Diffamierung, Erpressung, bis die Situation plöt z lich außer Kontrolle geraten sein muss.«
»Was war passiert?«
»Sagt dir der Name Matteotti etwas?«
Nicos Unterlippe wanderte nach vorn. Er schüttelte den Kopf.
»Na, du bist ja damals auch noch ein kleiner Junge gew e sen. Giacomo Matteotti war ein sozialistischer Opposit i onspolitiker, der Mussolini gehörig einheizte. Vor allem die faschistischen Einschüchterungskampagnen während des Wahlkampfes im Jahr 1924 hatte er scharf kritisiert. Dann, am 10. Juni – wegen des Aufschreis, der danach durchs ganze Land ging, kann ich mich noch genau an das Datum erinnern –, fiel er einem Mord zum Opfer.«
»Was?«
»Du hast richtig gehört. In dem Streit, von dem ich Zeuge wurde, sagte Mussolini sinngemäß: ›Ich habe dir gesagt, du sollst dem sozialistischen Wadenbeißer das Maul stopfen, aber du hättest ihn nicht gleich kaltmachen müssen.‹ Wo r aufhin Manzini erwiderte: ›Für mich hörte sich der Befehl anders an. Außerdem hat »Purgatorio« immer selbst über die Wahl seiner Methoden entschieden, und du bist nicht schlecht dabei gefahren, Benito. Diesmal wird es genauso sein. Ich hoffe, du wirst dich daran erinnern, wenn du de i nen Platz im Pantheon einnimmst.‹«
»Das hört sich für mich aber sehr nach einer Drohung an.«
»Man könnte es so auffassen.«
»Was ist dann passiert?«
»Mussolini verurteilte scharf die verschiedenen Gesetze s verstöße seitens der Faschisten und hat dann schön weiter an seiner Einparteiendiktatur gezimmert. Zwei Jahre später ließ er die Oppositionsparteien verbieten, und 1928 traten dann nur noch Kandidaten seiner PNF zur Wahl an. Gi a como Matteottis Mörder wurde nie gefasst.«
»Und spielt sich in Nettunia als kleiner Duce auf.«
»Das mag wohl sein, Junge. Leider ist in dem besagten Streit der Name Matteotti niemals gefallen.«
»Aber Mussolini sagte doch …«
»… dass Don Massimiliano einen ›sozialistischen W a denbeißer‹ kaltgemacht hat. Das ist kein Beweis.«
»Aber ein Indiz, das kein Staatsanwalt ignorieren kann.«
Donatello schüttelte lächelnd den Kopf. »Ach, Nico! Du bist noch so jung und begeisterungsfähig. Ich habe seit dem Tag, als ich das Gespräch belauschte, von keinem Gericht und keinem Staatsanwalt in diesem Land gehört, die sich für den Fall interessiert hätten.«
»Ich habe einen kennen gelernt. Oder zumindest dessen rechte Hand.«
»Und wo ist er jetzt?«
Nico ersparte sich die Antwort.
Donatello zeigte mit dem Finger auf ihn. »Siehst du. In diesem Land gibt es nur noch das Recht des Stärkeren.«
»Aber irgendwann wird die Willkür enden. Würdest du mir dann helfen, Manzini vor Gericht zu bringen?«
»Um gegen ihn als Zeuge auszusagen?« Wieder zupfte sich der Diener am Schnurrbart, diesmal besonders grün d lich, aber schließlich nickte er und antwortete: »Ich glaube ja, Nico. Ja, das sollte ich dem Baron wohl schuldig sein.«
Das Angebot, wieder einmal eine Nacht in einem richt i gen Bett zu schlafen, war unwiderstehlich. Schon allein weil er sich so matt und krank fühlte, nahm Nico gerne an. Auße r dem war es spät gewesen, nachdem Donatello und er ihre Erinnerungen hinreichend aufgefrischt und den Port bis zum letzten Tropfen geleert hatten. Trotz seiner Erschö p fung konnte er nicht einschlafen. Zu aufwühlend war der Gedanke, unschätzbare Fakten und einen möglichen Helfer im Kampf gegen Manzini hinzugewonnen zu haben. Übe r dies wollten die Kopf- und Rückenschmerzen nicht nac h
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