Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
vollends der Damm, der Signora Lurgis Ve r zweiflung bisher zurückgehalten hatte. »Sie hatten sich drei Häuser weiter hinter einer hohlen Wand auf dem Dachb o den versteckt. Aber irgendwer muss sie verraten haben. Sie haben sie mit dem schwarzen Auto direkt … Ist Ihnen nicht gut, junger Mann?«
    Nico hatte sich am Türrahmen festgehalten, weil ihm schwindlig geworden war. Er fasste sich entsetzt an die Stirn. Sie war glühend heiß. In seinem Innern breitete sich dagegen eine eisige Kälte aus. »Offen gestanden, nein«, stammelte er.
    »Wollen Sie hereinkommen und sich einen Moment au s ruhen?«
    »Nein!«, stieß Nico hervor, weil er wusste, dass er nach einer weiteren Ruhepause nicht mehr auf die Beine ko m men würde. »Wo hat man die beiden hingebracht?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Sie sagten, ein schwarzer Wagen hat sie abgeholt. War es ein Alfa Romeo …?«
    »Das weiß ich doch nicht«, unterbrach ihn die alte Dame und drohte nun selbst die Fassung zu verlieren. »Es war so eine Limousine. Schwarz eben. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
    »Aber kein Armeefahrzeug?«
    »Nein. Weder ein deutsches noch ein italienisches.«
    »Wann …« Er schluckte einen dicken Kloß hinunter. »Wann war das?«
    »So zwischen sechs und halb sieben.«
    »Also im Morgengrauen«, murmelte Nico. Vor sechs Stunden! Sie konnten schon sonst wo sein. Jetzt erst ließ er den Arm sinken und blickte verstört in seine Handfläche. Sie war schweißnass.
    »Es tut mir so Leid«, beteuerte Signora Lurgi. »Wollen Sie nicht doch hereinkommen und …?«
    »Vielen Dank«, sagte Nico tonlos, drehte sich um und stolperte aus dem Haus.
    Vielleicht wusste Davide, was geschehen war. Der Gol d schmied und seine Frau hatten sich bei Freunden in der Via Gallo, unweit der Piazza Campo dei Fiori, versteckt. Nico bestieg erneut sein Motorrad und ließ den Motor aufheulen.
    Zur Überquerung des Tiber wählte er die Ponte Cestio. Als er die Insel in der Flussmitte überquerte, auf der sich das Ospedale dei Fatebenefratelli befand, überkam ihn ein unheimliches Gefühl. Dreh um! Wenn du zum anderen Ufer hinüberfährst, dann schließt du einen Lebenskreis. Dort drüben war er vor elfeinhalb Jahren aus einem Fischlaster gestiegen. Wie damals wünschte er sich, von den Ärzten auf der Tiber-Insel, die wie ein Lazarettschiff in den trüben Fluten trieb, von allen Sorgen und Nöten geheilt zu werden. Abermals entschied er sich für den Weg nach Sant’Angelo.
    Das Versteck von Davide und Salomia Ticiani befand sich zwar einige hundert Meter westlich des Ghettos, aber trotzdem zog ihn das alte Judenviertel wie magisch an. Ihn beschlich da so eine Ahnung, die wohl mit den zuvor ges e henen Armeefahrzeugen zusammenhing. Er ließ das Teatro di Marcello links liegen, und dann sah er sie auch schon.
    Dutzende Armeelastwagen standen an den Eingängen des Ghettos. Deutsche Soldaten trieben Kinder, Frauen und Männer zu den Fahrzeugen, schlugen die Langsamen mit ihren Gewehrkolben, bellten Befehle. »Erst holen sie unser Gold und dann uns«, hatte Davide Ticiani an jenem Abend gesagt, als die Hilfe des Papstes viele noch hoffen ließ. Am zweiten Tag des Laubhüttenfestes, an einem heiligen Sa b bat, viel schneller als erwartet, traf seine Voraussage nun ein.
    Wider alle Vernunft ließ Nico sein Motorrad am Palazzo Venezia stehen und schwankte zu Fuß in Richtung Sant’Angelo. Von hier war es nicht weit zu jenem name n losen Platz, an dem sich die Wohnung der Ticianis befand. Ein starkes Rauschen in seinen Ohren erschwerte ihm die Orientierung. Die Laute der Armeelastwagen klangen dumpf. Er hatte das Gefühl, durch eine Röhre zu blicken, die mit jedem Schritt enger wurde.
    Unbehelligt betrat er das Ghetto. Ein noch wacher Teil seines Bewusstseins schlug Alarm. Es war so still hier. Nur mit Mühe bewältigte sein Verstand die letzte Höhe der U n fassbarkeit, die seine Gefühle noch immer nicht ermessen konnten: Sant’Angelo war ausgeräumt, menschenleer, eine nicht länger bewohnte Steinwüste.
    Nico lehnte sich gegen eine Hauswand, um Kraft zu schöpfen. Nicht hinsetzen !, ermahnte er sich und konnte trotzdem nichts gegen die immer weicher werdenden Knie tun. Von den Tränen, die ihm über die Wangen liefen, merkte er nichts.
    »Was flennen Sie wie ein Weib?«, fuhr ihn unvermittelt eine Stimme an. Sie sprach Deutsch. Ein Italiener wiede r holte die Frage. Prasselndes Stiefelgetrappel deutete auf die Anwesenheit weiterer Soldaten hin.
    Der Schreck wirkte auf

Weitere Kostenlose Bücher