Der Herr der Unruhe
bin ich kein feiner Herr, und zweitens ist mein Name dei Rossi. Nico dei Rossi.«
»Aber so hieß doch der Uhrmacher, der damals – ich weiß nicht mehr wann – ermordet wurde?«, fiel ein weiterer Höhlenbewohner ein.
Nico nickte. »Am 2. April 1932. Ich habe die Bluttat mit ansehen müssen. Emanuele dei Rossi war mein Vater.«
Gemurmel sprang wie ein Lauffeuer von einem zum a n deren und wurde von den Wänden dumpf zurückgeworfen. Die Unbekannte trat zu ihm heran und nahm seine Hand. Es war eine Frau Ende vierzig mit dunkelbraunem, grau m e liertem Haar und großen, wässrig schimmernden Augen. »Wer tut so etwas, raubt einem Kind seinen Vater?«
»Sie alle kennen den Mörder. Er heißt Massimiliano Manzini.«
Aus dem Murmeln wurde ein erregtes Geraune.
»Hab ich mir gleich gedacht«, brummte jemand.
»Den Fischer, dessen Schädel im April ‘40 zwischen zwei Schiffen zerquetscht wurde, hat er bestimmt auch umbri n gen lassen«, rief ein anderer von hinten.
»Ich sage euch, der Podestà hat ‘ne Menge Dreck am St e cken«, stimmte ein weiterer zu.
»Bitte helfen Sie uns, Don Nico«, flehte die Frau, die noch immer seine Hand hielt.
»Ich wüsste nicht, was ich für Sie tun kann.«
»Don Massimiliano lässt uns hungern, damit es den Deu t schen gut geht. Er verkauft unser Blut, um sich zu bere i chern. Gehen Sie in den Palast da über uns, und schaffen Sie uns dieses Ungeheuer vom Hals.«
»Manzini ist der Schlächter, gute Frau, nicht ich.«
Flavio Salvini sagte: »Heute habe ich amerikanische Jagdbomber am Himmel gesehen. Die Deutschen müssen früher oder später vor den Alliierten zurückweichen. Dann machen wir Sie zum Bürgermeister.«
»Mich?« Nico musste lachen. »Ich bin nur ein Uhrm a cher, der in den letzten Monaten viel zu selten sein Han d werk ausführen durfte.«
»Nein, Sie sind ein Mann, der immer für uns da war, wenn wir Hilfe brauchten.«
»Und ein Mensch mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Genau der Richtige, um unsere Stadt wieder erblühen zu lassen«, fügte die anhängliche Frau hinzu.
Ringsum brach Jubel aus, der Nicos Unbehagen mit einer Gänsehaut überzog.
»Seid still, oder wollt ihr, dass die Deutschen uns h ö ren?«, übertönte die volle Stimme des Böttchers den Lärm. Rasch kehrte wieder Ruhe ein.
Nico legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ihr braucht e i nen Besseren als mich, um in der Stadt wieder Ordnung zu schaffen, aber vielleicht kann ich trotzdem etwas für euch tun. Wisst ihr, wie ich die Widerstandskämpfer finde?«
»Welche? Seit den Erschießungen im September verst e cken sich eine Menge Halbwüchsige in den umliegenden Wäldern. Die Deutschen setzen da keinen Fuß hinein.«
»Ich suche Bruno Sacchi.«
»Den Fremdenführer?«, fragte Salvini schmunzelnd.
»Im Moment führt er die ausländischen Besucher höch s tens an der Nase herum.«
»Was sie ziemlich nervös macht. Seine Partisanengruppe versteckt sich in den Albaner Bergen, manchmal auch in den Sümpfen. Das wissen wir, weil ab und zu hier einer aufkreuzt, um die Deutschen auszuspähen. Aber ein paar Tage werden Sie sich da schon gedulden müssen.«
Die Vorstellung, den nächsten Fieberschub in einer Höhle durchzustehen, behagte Nico nicht besonders, aber trot z dem fragte er: »Kann ich eine Weile bei euch bleiben?«
Von allen Seiten wurde Zustimmung signalisiert.
»Danke, Freunde. Ach, da wäre noch etwas, Signor Salv i ni.«
»Nur heraus damit, Don Nico.«
»Wie ich hörte, sollen mehrere Häuser der Altstadt über geheime Zugänge mit den Höhlen hier verbunden sein. Ihr wolltet mich doch in den Palazzo Manzini schicken. Gibt es unter euch zufällig einen, der mich da unbemerkt hinei n bringen kann?«
»Ja!«, meldete sich aus dem Hintergrund eine knarzende Stimme auf Deutsch. Die Leute machten murrend einer etwa sechzigjährigen Frau Platz, die sich mit ihren Ellenb o gen ungeduldig zu Nico durcharbeitete. Ihre Seidenstrüm p fe bildeten von den Knien an abwärts Ringe, und auch sonst war sie die Verkörperung der Schlampigkeit.
»Signora Tortora!«, rief Nico erfreut aus, als er die sprachbegabte Witwe wiedererkannte, die ihn vor Jahren mit ihrem bestialisch stinkendem Mückenschutzmittel ve r sorgt hatte.
»Schön, dich wiederzusehen, Jungchen. Du siehst müde aus. Soll ich dich sofort in den Palast des Gouverneurs fü h ren, oder willst du erst eine Mütze Schlaf nehmen?«
Kaiser Nero hatte eine Schwäche für das liebliche Klima am Tyrrhenischen Meer. In
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