Der Herr der Unruhe
seiner Geburtsstadt Antium besaß er eine prächtige Villa, von der neunzehnhundert Jahre später nur noch ein paar Trümmer übrig geblieben waren. Und die Grotten.
Le Grotte di Nerone hatten dem im Ruf eines pyroman i schen Irren stehenden Kaiser als natürliche Abstellkammer für seine Bediensteten gedient. Außerdem wurde sein lux u riöses Domizil von dort unten aus beheizt. Als Nico die Höhlen besuchte, waren sie leer und kalt. Sie öffneten sich in ausgemauerten Rundbögen zum Meer. Über den Trü m mern ragte ein Häuschen mit einem Leuchtturm auf.
Seit seiner Rückkehr nach Nettunia waren sieben Tage vergangen. In dieser Zeit hatte er das eine oder andere in die Wege geleitet, um die Kreise seines Gegenspielers zu stören, und schließlich war es ihm auch gelungen, eine Verbindung zu Bruno Sacchi herzustellen. Als er durch die Dunkelheit der unterirdischen Gewölbe stolperte, fragte er sich, warum Bruno ausgerechnet diesen Ort für ihr gehe i mes Treffen vorgeschlagen hatte. Vielleicht fühlte sich der Partisanenführer in den Katakomben unter Neros Villa zu Hause, schließlich hatte er sich schon einmal hier versteckt.
Gerade wollte Nico zur Orientierung für einen weiteren kurzen Augenblick seine Lampe einschalten, als er plöt z lich vor sich ein gedämpftes Licht entdeckte. Es schwang hin und her, als hinge es an einem Pendel.
»Späher vom Forte Sangallo?«, raunte er – wenn da vor ihm ein deutscher Posten saß, dann war er ohnehin verl o ren.
»Komm näher. Hier hinten können wir Licht machen, o h ne entdeckt zu werden«, kam die geflüsterte Antwort z u rück. Es war unmöglich zu beurteilen, ob es sich dabei um seinen Freund handelte oder nicht.
Nico näherte sich mit tastenden Schritten dem gedämp f ten Lampenschein. Unvermittelt umfasste eine Hand seinen Oberarm. Er schrak zusammen.
»Ruhig Blut, amico mio .«
»Bruno!« Die Erleichterung ließ ihm die Knie weich we r den.
»Hast du Kaiser Neros Geist erwartet? Der ist gerade au s gegangen.«
»Witzbold.«
»Gib mir deine Hand. Ich bringe uns noch ein Stückchen tiefer in die Höhle.«
Wie ein Blinder ließ sich Nico in einen geschützten Wi n kel der Grotte führen. Dann erst durfte er seine Handlampe einschalten; auch Bruno nahm den Stofffetzen von der se i nen. Sie leuchteten sich gegenseitig an.
»Du bist schmal geworden«, sagte Nico.
»Dann hast du lange nicht mehr in den Spiegel gesehen. Siehst aus wie der Tod auf Latschen.«
»Ich war krank.«
»War?«
»Na ja, es könnte noch ein paar Tage dauern, bis ich wi e der richtig in Form bin.«
»Wo hast du dich rumgetrieben? Unser Plan war fix und fertig ausgearbeitet, aber dann bist du nicht mehr bei S o phia Fiori aufgetaucht.«
»Mich muss bei einem der Besuche in den Sümpfen eine Mücke gestochen haben.«
»Du hast Malaria ?«
»Jetzt tu nicht so, als könnte dich mein bloßer Anblick umbringen. Das Gröbste liegt hinter mir. Wenn du kein Vampir bist und mein Blut trinkst, dann passiert dir nichts.«
»Anscheinend bist du unverwüstlich. So jemanden wie dich brauchen wir noch, Nico.«
»Fängst du schon wieder damit an? Ich bin mein eigener Kommandant, Bruno.«
»Richtig. Hatte ich fast vergessen. Wie man hört, b e treibst du jetzt so eine Art Ein-Mann-Resistenza.«
»Alles Übertreibung. Manzini verdient sich eine goldene Nase, indem er den Deutschen Material, Proviant und I n formationen liefert. Ich sorge dafür, dass die Ware … sagen wir, nicht immer in einwandfreiem Zustand den Empfänger erreicht.«
»Unser Informant sagt, dass Nettunias Gouverneur auf der Favoritenliste von Generalmajor Raapke täglich weiter nach unten rutscht. Im Grunde tust du nichts anderes als wir, Nico. Wir wollen das Schwein Manzini vor ein Stan d gericht stellen. Mach bei uns mit, dann kannst du deine Schlagkraft vervielfachen.«
»Du willst doch nur die deine aufmöbeln. Wie ich höre, haben die Deutschen eine ganze Reihe von euch erwischt.«
»Ja«, knirschte Bruno. »Und an Ort und Stelle erschossen. Wenn ich ganz ehrlich bin, dann bluten wir allmählich aus. Wird Zeit, dass die Amerikaner mehr als nur ein paar Bo m ber schicken und Hitlers Mördertruppe endlich zum Teufel jagen.«
»Nun mal Tacheles, Bruno. Siehst du eine Chance, uns e ren Plan doch noch zu verwirklichen?«
»Der Arzt aus Anzio ist mit unbekanntem Ziel verreist.«
»War mir klar. Dann muss ich mir wohl etwas Neues ü berlegen, um noch einmal an Manzinis Tresor heran …«
»Immer langsam, Kamerad.
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